German English Turkish Arabic Italian

Veröffentlicht am 14.09.2023

Im Porträt: Atoum Hotep Assoumou | „Da könnte ich sagen, dass der Tag, an dem ich meine Diplomarbeit abgeschlossen habe, ein sehr schöner Tag war, weil ich in dem Moment mein Ziel erreicht habe.”

Im Sommer 2022 startete das Projekt Bochum - Stadt der Vielen einen Aufruf an Menschen und Organisationen Schwarzer Menschen in Bochum. So wurde die kleine Arbeitsgruppe Schwarze Geschichte in Bochum sichtbar machen! gebildet. Hier lernten wir Ruben Meyong kennen. Sein Interesse an den Erfahrungen Schwarzer Menschen in Bochum und an generationenübergreifenden Zusammenhängen führte ihn zu einem Interview mit Atoum Hotep Assoumou. Weil sein Interviewpartner Ruben Meyong zwar gerne seine Geschichte erzählen wollte, aber nicht über ein Foto erkannt werden möchte, schlüpfte Ruben einige Zeit nach dem Gespräch in Atoums Kleidung und der Fotograf Sören Meffert porträtierte ihn anstatt Herrn Assoumou, um dessen Geschichte sein Gesicht zu leihen. Die fotografische Arbeit, die in Zusammenarbeit zwischen Meffert und Meyong entstand, ist auch eine Darstellung der aktiven Rückgewinnung des Wissens- und Erfahrungsschatzes Schwarzer Menschen in Deutschland.

Im Porträt: Atoum Hotep Assoumou
von Ruben Meyong

Ruben: Kannst du dich einmal bitte kurz vorstellen?
Atoum: Mein Name ist Atoum Hotep Assoumou. Ich bin 54 Jahre alt. Ich wohne in Bochum. Ich bin geschieden und habe zwei Kinder und komme aus Gabun.

R: Welche Wege haben dich in deinem Leben dahingeführt, wo du heute bist?
A: Ich komme aus Afrika und damals war es so, dass man mehr oder weniger dazu gezwungen war, mindestens das Abitur zu haben, wenn man was in seinem Leben bewegen wollte. Und es war mein Traum, nach dem Abitur irgendwie im Ausland zu studieren. Und weil ich begeistert war von Maschinenbau, habe ich es auch geschafft, ein Abitur mit einer sehr guten Note zu erreichen, sodass ich auch die Qualifikationen für ein Auslandsstipendium erfüllt habe. Das war ungefähr der Weg, dem ich gefolgt bin.

R: Du hast jetzt ja schon ein bisschen über die Schulzeit gesprochen, kannst du noch ein bisschen genauer auf deine Zeit als Schüler eingehen?
A: Ja, also in der Schule war ich ein sehr guter Schüler, weil ich einen Vater hatte, der uns sehr gut bei unseren Hausaufgaben betreut hat und das nicht nur zuhause. Er kannte sogar die meisten meiner Lehrer und die meiner Geschwister. Da hatte ich also erstmal keine Möglichkeit, die Schule zu versäumen. Ich habe fast immer an jedem Unterricht teilgenommen. Außerdem hat er auch dafür gesorgt, dass ich immer in der ersten Reihe sitze, damit ich dem Unterricht besser folgen konnte und die Lehrerinnen und Lehrer auch darauf achten konnten, was ich tue und dass ich immer mitmache. Diese Schulzeit war für mich sehr gut und ich habe mich auch immer wohl gefühlt, weil ich eigentlich auch keine Schwierigkeiten mit dem Unterricht hatte. Ich habe mir damals auch oft die Frage gestellt, warum einige Schüler mit manchen Themen Probleme hatten, die für mich einfach waren.

R: Und wie war es in deiner Familie aufzuwachsen?
A: Ja, also ich komme aus einer großen Familie. Meine Mutter hat 9 Kinder und mein Vater hat noch ein uneheliches Kind, meinen großen Bruder, der leider verstorben ist. Bei uns war immer viel los, es war nie langweilig, weil man immer ein Geschwisterkind hatte, mit dem man spielen konnte. Wir Jungs haben unter uns gespielt, beispielsweise Fußball und die Mädchen haben auch zusammen gespielt oder waren mit unserer Mutter zusammen. Ich habe wirklich Respekt vor der Arbeit, die meine Eltern geleistet haben. In einer so großen Familie, alles zu organisieren. Heute merke ich es selbst, weil ich wie gesagt zwei Kinder habe, also „nur“ zwei und mein Vater und meine Mutter hatten noch viel mehr. Alles so zu organisieren, dass jeder was bekommt, dass jeder zufrieden ist mit dem, was man bekommt. Das ist schon echt eine Kunst.

R: Wann würdest sagen, hast du dich das erste mal als einen Erwachsenen gesehen?
A: Als Erwachsenen (überlegt), das war erst, als ich wirklich meine Familie zuhause verlassen habe, weil das für mich das erste mal in meinem Leben war, wo ich ohne meine Geschwister weg war. Das heißt von Zuhause aus nach Deutschland. Da stand ich plötzlich allein und ich musste alles organisieren, was ich damals noch gar nicht gelernt hatte. Ich hatte aber ein Stipendium. Wir waren nur zwei Leute aus Gabun in diesem Jahr. Leider ist mein Freund, der auch mit mir nach Deutschland gekommen ist, schon gestorben. Er war aber genau wie ich. Wir mussten lernen, am Wochenende zu kochen. Wir waren nämlich in einem Internat, in dem wir von Montag bis Freitag Essen in der Kantine bekommen haben. Samstags und sonntags sollten wir uns selbst versorgen. Aber wir konnten nicht kochen. Weil wir aber genug Geld hatten, haben wir oft am Wochenende außer Haus in Restaurants gegessen. Das mit dem Kochen haben wir dann aber auch mit der Zeit gelernt. Und um deine Frage direkt zu beantworten, war das die Zeit, in der ich gemerkt habe: Jetzt bin ich wirklich erwachsen. Ich musste mich zum ersten Mal um mich selbst kümmern, was vorher meine Eltern für mich gemacht haben. Da habe ich noch nicht gemerkt, was das für eine Verantwortung ist, erwachsen zu sein, mit Finanzen und solchen Sachen umzugehen, was ich nie zuhause gemacht habe. Das musste ich hier selbst lernen. Genauso wie mein Freund. Wir beide konnten einfach noch gar nicht mit Geld umgehen. Erst als wir die ersten finanziellen Schwierigkeiten bekommen haben, haben wir langsam gelernt, richtig mit Geld umzugehen.

R: Und wie alt wart ihr da?
A: Zwanzig.

R: Also ungefähr so alt wie ich. Du hast jetzt ja schon ein bisschen davon erzählt, wie du nach Deutschland gekommen bist. Wie kam es denn dann dazu, dass du nach Bochum gekommen bist?
A: Ja, ich bin nach Bochum gezogen, weil ich einfach hier die Verbindung zu Paris gesehen habe. Ich habe mir gedacht, dass es leichter und schneller für mich wäre, von Bochum nach Paris zu fahren, um dort meine kleine Schwester und andere Verwandte zu besuchen. Ich habe nämlich vorher im Süden von Deutschland gelebt, in München. Da hätte ich auch an der TU München studieren können oder an der Fachhochschule Ohm in Nürnberg, aber diese Option habe ich dann nicht für mich gewählt. Ich habe nur gedacht, ok, von Bochum aus wäre es optimaler, weil die Strecke von München nach Paris schon deutlich größer ist. Das ist der Grund, warum ich mich nach Bochum bewegt habe. Aber nicht direkt Bochum, geplant war eigentlich Dortmund. Und mit der Zeit, als ich die meisten Städte des Ruhrgebietes kennengelernt habe, habe ich gemerkt, Bochum ist eine kleine Stadt, die aber besonders war.

R: Also verstehe ich es richtig, dass der erste Eindruck von Bochum positiv für dich war?
A: Ja, also damals hatte Bochum den Ruf als Uni-Stadt. Und das Bermuda Dreieck war wirklich ein Ort, wo man so viele Leute wiedererkannt hat, die man vorher an der Uni gesehen hatte. Damals waren dort überwiegend Studentinnen und Studenten, die gekellnert haben, die ganzen Cafés. Ja, deswegen habe ich mich auch für Bochum entschieden. Wenn du willst, kann ich noch ein bisschen mehr davon erzählen.

R: Ja gerne, du hast ja gerade schon ein bisschen von deinem Studentenleben erzählt. Gab es irgendwelche Leute, die zu der Zeit wichtig für dich waren, oder mit denen du viel Zeit verbracht hast?
A: So, zuerst bin ich wie gesagt in Dortmund gelandet, weil mein Landsmann, mit dem ich hierher gekommen bin, schon in Dortmund war. Und bei ihm habe ich auch erst mal gewohnt, weil ich hier keine Wohnung im Studentenheim gefunden habe. Und dann habe ich hier auch viele Afrikaner kennengelernt. Der Vorteil in Bochum war, dass wir hier verschiedene Lokale hatten, in denen ich viele Schwarze, nicht nur aus Afrika, sogar aus England und Amerika kennengelernt habe. Freitags, samstags, sonntags konnte man sich richtig amüsieren. Dazu gebe ich mal kurz ein Beispiel: Bei Starlight Express waren die meisten Schwarzen Engländer. Die kamen immer ins “Café du Congo”. Das war ein Lokal für Schwarze. Und ein weiteres Lokal hieß “Chez Bob”. Das war das Lokal eines amerikanischen Ex-Basketballers, der sonntags z.B. Jazz-Musik live angeboten hat. Da war die Stimmung immer sehr gut. Es war vor Ort auch gemischt. Nicht nur Schwarze, sondern auch andere Gruppen. Das war echt ein Lokal, in dem man am Wochenende richtig Spaß haben konnte. Dazu kommen Tanz-Center, wo man hingehen konnte, wenn man Spaß in größerem Format haben wollte. Im Sommer hat man da Swimming-Pools benutzt und konnte in Badesachen schwimmen gehen.

R: Du bist ja auch zur Uni in Bochum gegangen, wie war die RUB damals?
A: Ja, die Erfahrung an der Uni war folgende: Du kannst dir vorstellen, wir waren in meinem Jahrgang drei oder vier Schwarze unter 230 Studierenden in einem Hörsaal. Du verstehst noch nicht so viel, weil du die Sprache nicht richtig beherrschst. Am besten hast du dich dann vorne hingesetzt, damit du den Professor besser durch sein Mikrofon verstehen konntest. Der Anfang an der Uni ist immer schwierig, weil man noch nicht alles mitgekriegt. Aber mit der Zeit wurde es immer leichter, weil ich dann auch das deutsche System mit den Prüfungen und Vorbereitungen verstanden habe. Da war ich dann richtig drin.

R: Was hattest du noch für weitere Herausforderungen an der Uni? Bspw. meintest du gerade ja schon, dass es eine gewisse Sprachbarriere gab.
A: Herausforderung? (er überlegt) Für mich war das deutsche Bildungssystem wirklich eine große Herausforderung. Wie gesagt, ich war das nicht gewohnt und wusste nicht wirklich, wie hier alles funktioniert. Da wo ich herkomme, gibt es nämlich ein anderes System. Das heißt, ich musste nicht richtig pauken, um die Prüfungen zu bestehen, sondern konnte ganz normal lernen und in der Prüfung kommen einfach Fragen, die prüfen, ob du den Stoff richtig verstanden hast. Die konntest du auch ohne intensives Lernen beantworten. Aber in Deutschland war das nicht der Fall. Hier musstest du richtig zuhause pauken, um die Eins zu kriegen. Und das war schwierig, vor allem wenn du noch keine Beziehung zu anderen deutschen Studenten hattest, die Altklausuren und Skripte mit Lösungen hatten. Man konnte damals bspw. in der Fachschaft Altklausuren kaufen, aber ohne Lösungen und nur von bestimmten Professoren. Die Altklausuren, die dort mit Lösungen angeboten wurden, waren nicht so wichtig. Die wichtigen Altklausuren mit Lösungen hatten eben die anderen Kommilitonen. Also war die Herausforderung, Freundschaften mit diesen Studenten aufzubauen, um an diese Unterlagen zu kommen.

R: Ok, jetzt nochmal eine Frage genauer zu deinem Leben in Bochum. Gibt es einen Zeitpunkt, an dem du gedacht hast: Jetzt bin ich hier angekommen?
A: Angekommen gefühlt…Das war, als ich gemerkt habe, dass Bochum eine Stadt ist, in der man viele Sachen machen kann. Ich gebe mal ein paar Beispiele: Ich bin jemand, der sehr viel Sport macht und habe damals den Kemnader See für mich entdeckt, um dort Inline Skates zu fahren. Außerdem haben wir den Ümminger See, da war ich früher öfter zum Joggen. Und es gab so viele Veranstaltungen hier in Bochum, an denen man teilnehmen konnte. Auch welche, zu denen die Leute sogar von weit weg gekommen sind. Wie bereits erwähnt, bspw. der Kemnader See. Dort konnte man auch sehr gut Beachvolleyball spielen oder sogar Boot fahren. Ich hatte damals einen Freund, der dort sogar seinen Bootsführerschein gemacht hat. Und in Bochum hattest du das Gefühl, man hatte von allem ein bisschen was. Man brauchte nicht unbedingt einen Wagen, man konnte alles sehr gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Im Gegensatz zu bspw. Düsseldorf, Duisburg oder Dortmund. Bochum war wirklich optimal. Und wir hatten schon damals den Nachtexpress. Man konnte also lange in der Stadt bleiben und ist trotzdem noch nach Hause gekommen. Ja, da habe ich gemerkt, Bochum passt wirklich zu mir. Und da habe ich mir gedacht: Ok, ich denke, ich werde erst einmal hier bleiben.

R: Und wie war es für dich, in Bochum mit Schwarzen Leuten in Kontakt zu kommen? Oder Räume für schwarze Personen zu finden?
A: Ne, also eigentlich nicht. Wie gesagt, als Studenten hatten wir unsere eigenen Gruppen, mit denen wir uns immer getroffen haben. Die meisten Schwarzen, die ich kannte, sind alle Studenten gewesen, wie ich. Und da haben wir immer afrikanische Partys organisiert, wo man auch schwarze Personen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern kennenlernen konnte. Und dazu kam auch die Carl-Duisberg Gesellschaft, die hat auch Partys für Schwarze organisiert, besonders für Afrikaner, die gerade erst nach Deutschland gekommen sind. So konnten sie andere Schwarze kennenlernen, die schon länger hier in Deutschland waren und so einen ersten Einblick bekommen, wie das Leben in Deutschland abläuft. Und deswegen hatte ich, was das angeht, überhaupt keine Probleme gehabt.

R: Hast du dich denn damals in irgendeiner Form politisch engagiert? Oder Leute aus deinem Umfeld?
A: Also, ich habe mich damals nicht wirklich für Politik interessiert, weil mein Vater sich auch nicht dafür interessiert hat. Sonst wäre er auch wie seine damaligen Kollegen Minister geworden. Also, wie bereits erwähnt, ich komme aus Gabun und bei uns ist die politische Lage so, dass es nur eine Partei an der Spitze gab. Und seit ca. 1990 gibt es in unterschiedlichen afrikanischen Ländern und auch bei uns, eine Welle von “Fake-Parteien”, die solche Umstände vertuschen sollen. Aber man weiß trotzdem, dass es die ganze Zeit nur eine Partei gibt, die regiert. Deswegen hatte ich mehr oder weniger kein Interesse an Politik. Aber privat habe ich mich engagiert und habe versucht, Leuten zu helfen, wo ich konnte. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass die Leute nicht nur das Bild von Afrika im Kopf haben, was in den Medien zu sehen ist und wovon immer gesprochen wird. Ich habe versucht, den Leuten zu erklären, dass sie selbst recherchieren sollen. Die meisten Sachen, die man im Fernsehen sieht, werden bewusst so gezeigt, um die Leute hier in Deutschland zu beeinflussen. Sie zeigen aber nicht, wie Afrika wirklich ist. Und es ist sehr schade, dass die meisten Leute hier nur ein negatives Bild von Afrika haben. Es gibt wunderschöne Landschaften, von denen man nur träumen kann. Wirklich wie ein Paradies auf Erden. Wie zum Beispiel mein Dorf. Immer als ich nach Hause gereist bin, bin ich nicht in der Stadt geblieben, sondern in mein Dorf gefahren. Das ist echt ein Geschenk, das uns Gott gegeben hat. Diese Natur, die frische Luft zum Atmen, das klare Wasser von der Quelle. Alles ist ein Geschenk. Wenn ich heute sehe, dass die Leute versuchen alles grün zu machen, denke ich mir, unsere Vorfahren wussten das schon alles und haben die Natur bewahrt.



R: Das hört sich echt sehr schön an. Vielleicht gehen wir aber nochmal ein bisschen zurück und reden über Bochum. Welche Schwierigkeiten oder Probleme gab es damals für dich in Bochum?
A: Also ich würde sagen, dass ich zu den Leuten gehöre, die wirklich viel Glück in ihrem Leben haben. Ich habe nämlich ein paar Kollegen aus Afrika, die hier große Schwierigkeiten hatten. Ein Kollege musste bspw. jeden dreckigen Job hier machen, um sein Studium zu finanzieren. Ich hatte ja, wie gesagt, ein Stipendium, das heißt, ich gehörte zu der Gruppe Leute, die privilegiert waren. Deswegen hatte ich nicht wirklich große Schwierigkeiten. Natürlich gab es immer mal wieder vereinzelte Leute, mit denen ich nicht gut klar gekommen bin, aber trotzdem konnte ich auf meinem Weg weitermachen.

R: Würdest du trotzdem sagen, dass du als Schwarze Person in Bochum anders gesehen wurdest als Kommilitonen oder Freunde von dir, die nicht Schwarz waren?
A: Ja, aber das ist ja klar. Ich habe damals immer probiert, die Leute, mit denen ich zu tun hatte, von mir und meiner Person zu überzeugen, und nicht auf meine Hautfarbe reduziert zu werden. Aber damit mich die Leute auch richtig verstehen, musste ich eine gewisse Persönlichkeit haben. Ohne die hätte ich es nicht geschafft. Wie zum Beispiel ein damaliger Freund von mir aus der Elfenbeinküste, der mittlerweile in Kanada ist. Hier hat er es nämlich leider nicht geschafft, einen Job zu bekommen. Der Junge ist Diplom-Ingenieur und hat hier nie ein Vorstellungsgespräch gehabt. Das kann man sich nicht vorstellen. Der hat über 50, sogar über 100 Bewerbungen verschickt, aber nie eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch erhalten. Bei mir war das zum Glück anders. Von 20 Bewerbungen habe ich ca. 5 Einladungen erhalten. Und wichtig war am Ende nur, dass man eine Stelle bekommt. Das ist die Schwierigkeit, die wirklich sehr viele Leute hatten, die aus Afrika gekommen sind. Da kannst du nichts machen, wenn du wirklich keine Vorstellungsgespräche und Aussichten auf einen Job bekommst.

R: Hat sich dein Arbeitsleben später ungefähr so entwickelt, wie du es dir vorgestellt hast?
A: Ja, das kann ich laut sagen. Ich habe nämlich als Projekt-Ingenieur gearbeitet. Und der Vorteil ist, dass es nie langweilig wird, weil man immer ein neues Projekt kriegt. Und so habe ich mir auch ungefähr mein Leben vorgestellt. Nicht irgendwo fest in einem Unternehmen zu sitzen, in dem ich jeden Tag das Gleiche mache und die gleiche Routine habe. Das passt nicht zu meiner Person. Ich bin einer, der immer neue Herausforderungen braucht, um sich nicht schnell zu langweilen. Sonst kann ich mich nicht ausgeglichen fühlen. Und als Projekt-Ingenieur zu arbeiten, hat sich für mich angefühlt wie ein Traum. Mein Leben ist eine Ausnahme. Ich hatte Chefs, die mir vertraut haben. Bspw. damals als ich in einem Unternehmen in Schwerte gearbeitet habe, war der Chef jemand, der selbst sein eigenes Unternehmen hochgezogen hat und so Millionär geworden ist. Dieser Chef hatte auch ein weiteres Unternehmen in Rumänien und dort bin ich damals hingeflogen, um zu gucken, wie die Jungs da arbeiten und Materialien suchen und so weiter. Und als ich da angekommen bin, hat mir der Geschäftsführer sofort den Schlüssel von dem Haus des Chefs gegeben und seinen Dienstwagen, sogar sein Büro. So, dass die Leute mich da als Chef bezeichnet und betrachtet haben, obwohl ich kein Chef war. Das war wirklich wie ein Traum, mit den Vorteilen, die ich hatte. Deswegen kann ich auch echt sagen, wenn ich auf mein Leben zurückblicke: Da hast du echt Glück gehabt. Nicht jeder hat sowas.

R: Also war das wahrscheinlich auch ein Moment in deinem Leben, in dem du auch sehr stolz auf dich warst. Gibt es noch mehr solcher Momente?
A: Also, ich bin nicht immer auf mich stolz. Ich bedanke mich jeden Tag für meine Eltern und dafür, dass Gott mir dieses Glück gegeben hat. Die Sache mit dem Traum vom Beruf, ist nur eine Bestätigung für mich, dass ich ein Mensch bin, der Glück im Leben hat. Und das kommt alles von meiner Familie. Ich bedanke mich bei meinen Großeltern, meinen Eltern, die mir das alles gegeben haben, was ich habe. Ich kenne eben auch Leute, die Pech hatten. Wenn man das Glück hatte, in eine gute Familie geboren zu werden, dann ist das auch ein Geschenk.

R: Wo wir jetzt schon von schönen Momenten sprechen, gibt es denn auch eine besonders schöne Erinnerung von dir im Zusammenhang mit Bochum, die dir spontan einfällt?
A: Ja, bei mir ist es so, ich habe jetzt keinen festen Moment, den ich am schönsten finde. Ich erlebe fast jeden Tag schöne Dinge. Das Leben ist so, wie man es nimmt. Ich versuche jeden Tag zu genießen. Für mich ist jeder Tag ein Geschenk von Gott. Es gibt Tage, die schlecht sind, es gibt Tage, die gut sind. Also, um das jetzt auch nochmal auf Bochum zu beziehen…Da könnte ich sagen, dass der Tag, an dem ich meine Diplomarbeit abgeschlossen habe, ein sehr schöner Tag war, weil ich in dem Moment mein Ziel erreicht habe. Mein Dozent war nämlich auch sehr stolz auf mich und meinte, ich hätte das super gemacht. Und ja, deswegen würde ich sagen, dass das ein sehr sehr guter Moment in Bochum für mich war. Ich wusste nämlich, ab jetzt bin ich Diplomingenieur und kann arbeiten.

R: Wie würdest du sagen, hat sich Bochum in den letzten Jahren verändert?
A: Weil ich nicht mehr so viel wie früher ausgehe, kann ich nicht zu allem viel sagen, aber ein paar Sachen fallen mir doch auf. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass mit der Zeit vieles ein bisschen schlechter wird. Zum Beispiel, was Sportvereine angeht. Aus einigen Gesprächen mit verschiedenen Trainern habe ich erfahren, dass viele Vereine bestimmte Jugend-Abteilungen schließen müssen, weil nicht genug Kinder und Jugendliche in die Vereine gehen und es auch nicht unbedingt genug Leute gibt, die diese Kinder betreuen wollen. Und das finde ich wirklich schade. Außerdem wurden auch einige Freibäder geschlossen, damals haben wir mehr in verschiedenen Stadtteilen in Bochum. Auch andere Sportbereiche wurden zusammengeführt an einzelnen Orte, wo verschiedene Vereine sich Räume teilen müssen, wie Sardinen in einer Dose. Das sind einige negative Sachen. Aber man muss das Positive erwähnen. Es wurden nämlich viele Parks verschönert und renoviert und auch viele neue Fahrradwege gebaut. Das sind schon ein paar positive Sachen. Damals war Bochum auch eine Stadt, die schon ausländerfreundlicher war als andere Städte. Im Vergleich zu anderen Städten haben Ausländer hier nämlich leichter ihre Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Da hat sich Bochum schon in diesem Bereich engagiert. Jetzt ist alles komplizierter geworden. Studenten aus Afrika müssen länger auf eine Aufenthaltsgenehmigung  warten. Das sind ein paar Sachen, die sich in Bochum verändert haben.

R: Gibt es etwas, was du selbst an Bochum verändern wollen würdest bzw. etwas, das du dir für die Zukunft wünschst?
A: Ja, ich bin zwar kein Bürgermeister von Bochum, aber rein theoretisch könnte man viel ändern. Ich sehe nur, dass es ein bisschen kompliziert ist, jetzt gerade z.B. rückt Europa zusammen und Leute, die keine Europäer sind, kriegen hier Probleme. Bspw. habe ich auch noch an Uni-Partys teilgenommen als ich schon Diplomingenieur war mit ein paar Freunden. Und da habe ich gemerkt, dass weniger Schwarze Studenten an der Uni waren als damals. Die Zahl ist aus irgendwelchen Gründen sehr niedrig. Ich habe das Gefühl, dass nicht mehr so viele Schwarze Leute nach Bochum kommen. Den Grund kenne ich jetzt auch nicht. Aber ich würde nochmal extra versuchen, Ausländer zu integrieren, also mit der Politik, den Leuten zu erleichtern, hier etwas zu erreichen. Schnellere Aufenthaltsgenehmigungen geben, Ausländern das Studieren zugänglicher zu machen, sowas würde ich wahrscheinlich ändern. Oder Gastarbeiter, die hier helfen wollen, z.B. im medizinischen Bereich, etwas vom bürokratischen Stress entlasten. Solche Sachen würde ich hier anstreben, wenn ich Politiker wäre.

R: Hast du denn irgendeine Empfehlung für Schwarze Menschen, die nach Deutschland kommen wollen?
A: Ja, es ist schwierig, Leuten etwas zu empfehlen, weil ich auch nicht alles mitbekomme, gerade unter den Jüngeren. Was ich aber empfehlen kann: Jeder sollte sich erst einmal richtig informieren, bevor man etwas in Angriff nehmen will. Wie die Stadt ist, in die man ziehen will. Am besten durch Bekannte, die schon vor Ort sind. Fragen stellen wie beispielweise: Wie kann man in Bochum als Student oder als Arbeiter leben und sich entwickeln? Das ist, was ich den Leuten empfehlen würde, die hierher kommen möchten. Im Voraus alle Informationen sammeln, die wichtig sind, damit man weniger Probleme bekommt. Wie teuer ist die Stadt? Wo und was kann man in seiner Freizeit unternehmen? Wo kann man einkaufen gehen? Alle diese Parameter muss man im Blick haben.

R: Und jetzt noch zum Abschluss eine Frage: Was nimmst du dir selbst für die Zukunft vor?
A: Für die Zukunft nehme ich mir vor, dass ich es schaffe, mir ein Pendeln zwischen Afrika und Deutschland zu ermöglichen. Ich habe ja wie bereits gesagt, hier in Deutschland zwei Kinder und deswegen möchte ich es schaffen, mich hier so zu organisieren, dass ich es schaffe wieder mehr mit Afrika in Verbindung zu stehen und auch dort Fuß fassen kann, ohne dabei den Kontakt zu Deutschland zu verlieren. Ich möchte es auch schaffen mit meinen Beziehungen hier in Deutschland, Leute dazu zu bewegen, in Afrika zu investieren. Das sind meine Pläne für die Zukunft.

R: Vielen Dank für deine Zeit und das Interview.
A: Ich bedanke mich auch für das Gespräch.

___

Interview und Text: Ruben Meyong
Fotos: Sören Meffert

Zurück