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Veröffentlicht am 14.09.2023

Im Porträt: Emanuel Iyembe | „Ich habe in Bochum meine Familie gegründet und auch wenn es mit meinem Geschäft am Ende viele Probleme gab, werde ich mich immer positiv daran zurückerinnern.”

Im Sommer 2022 startete das Projekt Bochum - Stadt der Vielen einen Aufruf an Menschen und Organisationen Schwarzer Menschen in Bochum. So wurde die kleine Arbeitsgruppe Schwarze Geschichte in Bochum sichtbar machen! gebildet. Hier lernten wir Naemi Mbemba kennen. Ihr Interesse an generationenübergreifendem Austausch und Dialog veranlasste sie zu einem Interview mit Emanuel Iyembe. Naemis Interviewpartner war gerne bereit, ihre Geschichte zu erzählen, zog es aber vor, nicht auf Fotos zu erscheinen. In Zusammenarbeit mit dem Fotografen Sören Meffert reproduzierte Naemi eine Fotoserie von Produkten, die an den Afro-Shop von Iyembe erinnern.

Im Porträt: Emanuel Iyembe  | „Ich habe in Bochum meine Familie gegründet und auch wenn es mit meinem Geschäft am Ende viele Probleme gab, werde ich mich immer positiv daran zurückerinnern.”
von Naemi Mbemba

Naemi: Würdest du dich bitte zunächst einmal vorstellen?
Emanuel: Ich heiße Emanuel Iyembe, aber alle nennen mich Iyembe und ich bin 57 Jahre alt. Ich wurde in Kongo geboren, lebe aber schon sehr lange hier in Deutschland. Ich bin stolzer Papa von 12 Kindern, neun Töchter und drei Söhne.

N: Kannst du erzählen, welche Entscheidungen dazu geführt haben, dass du heute da bist, wo du bist?
E: Ich bin schon alt und habe viele Entscheidungen im Leben getroffen, gute und schlechte (lacht). Aber ich denke am meisten ausschlaggebend für mein jetziges Leben war die Entscheidung, meine Heimat zu verlassen und nach Europa zu kommen. Hätte ich das damals nicht gemacht, wäre mein Leben heute wahrscheinlich ganz anders.

N: Was hat dich dazu veranlasst, Kongo zu verlassen und ist dir diese Entscheidung schwergefallen?
E: Ich habe Kongo verlassen, weil ich einfach mehr im Leben wollte. Mehr Perspektive, mehr Chancen. In Kongo gab es nichts für mich. Ich wusste, dass ich weg musste, um erfolgreich zu sein und um der Armut zu entkommen. Und ja, natürlich war es auch schwer für mich. Ich war noch sehr jung. 18/19 Jahre alt und meine Eltern waren dagegen, dass ich wegging. Sie wollten, dass ich bleibe, aber ich wusste ganz genau, dass ich gehen musste. Und das habe ich dann auch getan. Ich habe Kongo allein verlassen und bin seitdem nie zurückgekehrt.

N: Wie sah denn dein Leben in Kongo aus? Wie bist du aufgewachsen?
E: Ich hatte kein schlechtes Leben, auch wenn das Europäer immer über Afrika denken (lacht). Aber wie gesagt, ich habe mich nach mehr gesehnt, es war auch nicht perfekt. Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen mit neun Geschwistern. Die meisten meiner Geschwister sind mittlerweile tot, manche sind sehr jung gestorben. Mein Vater war Pfarrer und meine Mutter hat auf uns Kinder aufgepasst und sich um den Haushalt gekümmert. Meine Eltern konnten beide nicht lesen und schreiben, aber ihnen war es wichtig, dass wir Kinder zur Schule gehen und erfolgreich waren. Als ich 12 war, wurde ich auf ein Internat in Kinshasa geschickt. In Kinshasa war es ganz anders als im Dorf, sehr groß und sehr voll. Ich habe dort gelernt, Lingala zu sprechen. Meine Muttersprache ist eigentlich Kikongo, aber das habe ich mittlerweile verlernt. Nur verstehen kann ich es noch. Wenn ich jetzt mit meiner Mutter spreche, redet sie Kikongo und ich Lingala. Ja, meine Mutter ist eine sehr starke Frau, sehr stark.

N: Ab welchem Zeitpunkt in deinem Leben hast du dich als Erwachsener gefühlt?
E: Ich denke, ich wurde erwachsen, als ich Kongo verlassen habe. Durch die Zeit im Internat war ich es schon gewohnt, von meiner Familie getrennt zu sein, aber als ich nach Europa ging, war ich komplett auf mich allein gestellt. Ich musste alles selbst machen, musste mich allein zurechtfinden und hatte keine Unterstützung. Dann bleibt einem nichts anderes übrig, als Erwachsenen zu werden. Als ich später dann meine Kinder gekriegt habe, bin ich, glaub' ich, so richtig erwachsen geworden. Vorher war ich zwar auch schon erwachsen, aber Kinder verändern alles. Da hat man keine Zeit mehr für Blödsinn (lacht).

N: Wie kam es dazu, dass du nach Deutschland gekommen bist?
E: Ich hatte eigentlich gar nicht vor, nach Deutschland zu kommen. Mein Plan war es, in Frankreich zu leben und das habe ich zuerst auch. Weißt du, in Kongo habe ich mich lange auf meine Abreise vorbereitet. Ich musste jahrelang sparen, um mir das Flugticket leisten zu können und mit einem Bekannten, der in Frankreich gelebt hat, hatte ich abgemacht, dass ich zunächst bei ihm bleiben würde. Ich wollte in Frankreich studieren, das war mein Ziel. Ich konnte ja schon Französisch sprechen und wusste, dass es eine kongolesische Community in Frankreich gab und ja, ich habe mich auf den Bekannten verlassen. Aber dann ist alles ganz anders verlaufen. Als ich damals in Paris ankam, war mein Bekannter nicht wie vereinbart am Flughafen, um mich abzuholen. Ich habe lange gewartet und es war kalt, es hat sogar geschneit. Das weiß ich noch, weil ich bis dahin noch nie zuvor Schnee gesehen hatte. Das Wetter in Frankreich hat mich schockiert (lacht). Als mein Bekannter nicht kam, habe ich mich selbst auf den Weg zu seiner Adresse gemacht. Das war ein bisschen kompliziert, aber die Leute haben mir geholfen. Und als ich dann schließlich da war, wollte mein Bekannter mich nicht reinlassen. Das war sehr schlimm für mich. Ich habe stundenlang vor der Tür gewartet und wie gesagt, es war sehr kalt. Er hat mich dann doch reingelassen, aber ich durfte nicht lange bleiben. Nach einer Woche oder so hat er mich rausgeschmissen und ab da musste ich erstmal gucken, wie ich zurechtkomme. (kleine Pause)
Ich war dann erstmal obdachlos. Ich habe sogar auf der Straße geschlafen. Paris ist sehr dreckig und es gab viele Obdachlose, auch andere Afrikaner. Ich habe andere Kongolesen kennengelernt und habe mir kleine Jobs gesucht, um mich über Wasser zu halten. Besonders auf Baustellen wurde immer jemand gebraucht. Ich habe zwischendurch in Obdachlosen- und Flüchtlingsheimen gewohnt und irgendwann habe ich dann ein Zimmer in einer kleinen Wohnung gefunden. Ich musste mir die Wohnung zwar mit 6 anderen Personen teilen, aber das war besser als nichts. Nach Deutschland bin ich tatsächlich zufällig gekommen. Ich wollte gemeinsam mit einem Freund, den ich in Paris kennengelernt habe, in die USA gehen. Wir hatten genug von Paris und planten, wie wir am besten nach Amerika kämen. Mein Freund, auch ein Kongolese, lebte schon etwas länger als ich in Europa und hatte Kontakte zu anderen Kongolesen in Deutschland, die uns helfen wollten, nach Amerika auszuwandern. Deswegen sind wir zusammen nach Frankfurt gegangen. Aber in Deutschland ist viel passiert. Mein Freund und ich haben uns gestritten und ich bin nach Bochum gegangen, weil ich dort an einer Fachhochschule mein Studium beginnen wollte. Ich hatte versucht, nach Amerika zu gehen, aber es hat nicht funktioniert und dann bin ich nach Bochum gegangen. Ich weiß nicht, was aus meinem Freund geworden ist. Vielleicht ist er ja jetzt in den USA. In Bochum habe ich dann meine ehemalige Frau kennengelernt. Wir sind zusammengekommen und dann kamen auch sehr schnell die Kinder. Dann hat das mit dem Studium einfach nicht mehr geklappt. Ich habe es abgebrochen und wurde dann erstmal selbstständig. Ich habe mit der Unterstützung meiner Schwiegereltern meinen eigenen Afroshop eröffnet und das Geschäft lief zunächst richtig gut. Aber ja, das ist schon sehr lange her.

N: Was ist denn aus deinem Laden geworden?
E: Ach, es gab viele Probleme. Die Behörden haben mir viele Probleme gemacht. Mein Geschäft war gut, ich hatte viele Kunden. Alle Kongolesen aus Bochum und ganz NRW sind zu mir gekommen und wir haben einfach eine gute Zeit bei mir im Geschäft gehabt. Aber das Ordnungsamt und die Polizei haben das nicht gern gesehen. Ich habe nie etwas Illegales in meinem Geschäft gemacht, nie! Aber trotzdem kamen sie immer und wollten alles kontrollieren und wollten die Kunden kontrollieren. Sie haben nach Fehlern gesucht und nach Gründen, mein Geschäft zu schließen. Damals war es noch nicht so wie jetzt. Vor 20 Jahren waren die Leute nicht so sensibilisiert. Die Polizei und das Ordnungsamt waren rassistisch. Sie konnten es nicht leiden, so viele Afrikaner an einem Ort zu sehen und deswegen haben sie uns schikaniert. Mein Afroshop war sehr wichtig für mich. Er war der Ort, wo ich mit meiner Community zusammenkommen konnte und ich war sehr stolz auf meinen Laden. Aber nach ein paar Jahren musste ich den Laden schließen. Zu oft gab es Probleme mit den Behörden und das ging dann nicht mehr. Ja, das hat mich schon erstmal aus der Bahn geworfen, aber ich habe schnell etwas anderes gefunden. Keinen eigenen Laden, aber Arbeit, um meine Kinder zu versorgen und das war am wichtigsten für mich. Dass es meinen Kindern gut geht.

N: Würdest du denn sagen, dass Bochum für dich eine positive Bedeutung hat oder eher nicht?
E: Doch, Bochum hat eine positive Bedeutung für mich. Ich lebe zwar seit ein paar Jahren in Essen, aber in Bochum sind fast alle meine Kinder geboren. Ich habe in Bochum meine Familie gegründet und auch wenn es mit meinem Geschäft am Ende viele Probleme gab, werde ich mich immer positiv daran zurückerinnern. Wenn ich heute in Bochum bin, sehe ich all die Spielplätze, wo meine Kinder gespielt haben und die McDonalds und Burger Kings, wo ich immer so viel Geld für Happy Meals ausgegeben habe (lacht). Oder die Spielfabrik, da wollten meine Kinder jedes Wochenende hin. Ich selbst habe durch meine Zeit in Bochum einen großen kongolesischen Bekanntenkreis aufgebaut, der sich über ganz Deutschland erstreckt. Wäre ich damals nicht nach Bochum gegangen, dann hätte ich nie die Mutter meiner Kinder kennengelernt und hätte ich in Bochum nicht mein Geschäft gehabt, dann würde ich mich heute vermutlich nicht so wohl in Deutschland fühlen, wie ich es tue. Ich weiß, Deutschland ist nicht perfekt und es gibt noch viel Rassismus und bis heute lässt mich die Polizei nicht in Ruhe (lacht), aber mir geht es gut. Mir geht es gut, weil ich meine Community habe, andere Kongolesen und Afrikaner und natürlich meine Kinder. Meine Kinder sind ziemlich intelligent und sie leben fast alle in Bochum. Ja, deswegen ist Bochum etwas Positives für mich.

N: Gibt es etwas, was dir für die kommenden Jahre wichtig ist?
E: (überlegt) Im Grunde genommen ist mir nur wichtig, dass es meinen Kindern gut geht. Sie sollen studieren und später gute Jobs haben, das ist mir wichtig. Was mich selbst betrifft, ich bin schon alt (lacht). Ich werde weiterhin arbeiten, damit ich in zehn Jahren in Rente gehen kann und vielleicht werde ich meine alte Heimat besuchen. Ich habe das zwar noch nicht geplant und ich weiß, dass Kongo sich in den letzten 40 Jahren seitdem ich da war, verändert hat, aber ich denke, ich sollte irgendwann wieder zurückgehen. Nicht für immer, ich mag mein Leben in Deutschland. Aber vielleicht kurz als Urlaub (lacht).

N: Hast du Empfehlungen für Menschen, die heute nach Deutschland kommen?
E: Afrikanern, die nach Deutschland kommen wollen, rate ich, sich zu informieren. Denn in Afrika denkt jeder, Europa sei das Paradies und alles ist besser hier, aber das stimmt so nicht. Es ist schwer, in Europa als Afrikaner Fuß zu fassen. Die Bürokratie ist kompliziert und man muss auf alles warten. Auf Genehmigungen, Status, auf alles. Wenn du als Afrikaner nach Deutschland kommen möchtest, musst du deswegen geduldig sein und du brauchst eine dicke Haut, denn es wird nicht jeder immer freundlich zu dir sein. Aber es gibt auch Unterstützungsangebote und nette Menschen und zu denen sollte man sich Kontakt aufbauen, damit man Hilfe bekommt. Und es ist wichtig, Leute aus der Heimat kennenzulernen. Sie wissen nämlich, wie es ist, als Afrikaner nach Deutschland zu kommen und dann fühlt man sich nicht so allein.

N: Vielen Dank für das Interview.

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Interview und Text: Naemi Mbemba
Fotos: Sören Meffert



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