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Veröffentlicht am 14.10.2023

Im Porträt: Giampiero Piria | „Der Moment, als ich den ersten Schritt in den Lichtstrahl tat und wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Ein Schritt in eine Welt der Theaterkunst, eine Welt jenseits aller Gesetze.“

Giampiero Piria hat mehrere Berührungspunkte mit Bochum – Stadt der Vielen. Einige Menschen aus dem Projektteam kannten ihn bereits von Projekten, die im Theater der Gezeiten in Bochum-Hamme stattfanden. Seit einigen Jahren ist er der künstlerische Leiter dieses Hauses, in dem nicht nur Theater gespielt wird. Die Räumlichkeiten werden auch für Ausstellungen, vornehmlich von lokalen Künstlerinnen und Künstlern, genutzt, und ebenfalls befindet sich dort das Tiny Rooms – Schubladen-Museum, das vermutlich kleinste Museum Bochums. Eine weitere Person aus dem Team kennt ihn über seine langjährige Theaterarbeit im Kulturhaus Thealozzi. Giampiero Piria erzählte Passagen seiner Lebensgeschichte in einem theatralen Akt während der Interkulturellen Woche Bochum 2022 in unserem Erzähl-Labor und Sammlungsraum, und wir trafen ihn für zwei weitere Gespräche im Theater der Gezeiten, um die Geschichte per Video festzuhalten.

Im Porträt: Giampiero Piria | „Der Moment, als ich den ersten Schritt in den Lichtstrahl tat und wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Ein Schritt in eine Welt der Theaterkunst, eine Welt jenseits aller Gesetze.“
Video-Interview: Sören Meffert, Text: Patrick Ritter

Bühnenstrahler aus dem Theater der Gezeiten

Weil Giampiero Piria nicht in Italien, wie seine Eltern, sondern in Oberhausen geboren wurde, ist seine Migrationsgeschichte zwar eine geografisch sehr kurze – aber seine Biografie eine äußerst erzählenswerte postmigrantische Ruhrgebietsgeschichte voller Liebe zur Bühnenkunst, in der Grenzen zum Glück weitestgehend egal sind.

„Der Anfang aller Dinge ist bei Vielen und bei Vielem die eigene Geburt.“
Giampiero Piria wird 1964 in Oberhausen als Sohn italienischer Eltern geboren. Aus den „angeblich zwei Sprachen“ Deutsch und Italienisch, mit denen er aufwächst, wird in Giampieros Wahrnehmung „eine Sprache, mit unterschiedlichen Farben“, sagt er im Interview mit Sören Meffert.

Als Kind und als Jugendlicher erlebt Giampiero Piria ein Oberhausen, in dem das Haus, in dem er mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern lebt, als „Italienerhaus“ bezeichnet wird. „Griechen wohnten im Griechenhaus. Die Arbeitskräfte wurden in Länder eingeteilt.“, erinnert er sich. Seine Eltern kamen zuvor aus Sardinien. Sein Vater, der in Sardinien Schäfer war, arbeitet in Oberhausen als Bergmann. Giampiero Piria betont gerne die Vorteile des bilingualen Aufwachsens und schätzt auch den Gedanken, dass die Erfahrung des vorher ländlichen Lebens der Eltern und seine fast ausschließlich städtischen Lebenserfahrungen eine spannende Mischung ergeben.

Später lernt Giampiero auch das künstlerische und kulturelle Oberhausen kennen, in dem renommierte Filmemacherinnen und Filmemacher ein- und ausgehen. Schon früh wird also das Interesse für Kunst und Kultur bei ihm geweckt und entwickelt sich bald zur tiefgreifenden Passion. „Die ganzen 80er hindurch war ich ständig im Kino.“, sagt Giampiero und berichtet davon, dass er sich einst als Jugendlicher nach dem Nachmittagspogramm unter den Sitzen versteckte, um den späteren Abendfilm ab 16 auch anschauen zu können.

Er arbeitet für vier Jahre bei den Kurzfilmtagen Oberhausen mit und organisiert mit einem Team zusammen die Jugendfilmsparte des Festivals. Damals heißt das Filmfestival noch „Westdeutsche Kurzfilmtage“. Zusammen mit Filmkritiker*innen und den anderen Organisator*innen des Festivals werden beeindruckende Mengen an Filmmaterial gesichtet, erinnert sich Giampiero: „Die Sichtungen bestanden darin, dass innerhalb von zwei Wochen zweieinhalbtausend Filme geguckt wurden. […] Von morgens 9:00 Uhr bis abends open end.“ Zur Vielfalt der gesichteten Filme formuliert er einen spannenden Gedanken: „In einem Film können alle Kunstgattungen auf einer Leinwand versammelt sein.“

„Ich habe genau den Ort gefunden, nach dem ich immer gesucht habe. Und das ist die Bühne gewesen bzw. das Theater.“
Dass 1988 an der Ruhr-Uni Bochum der Studiengang Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften gegründet wird, ist Giampiero Pirias Anlass, nach Bochum zu kommen. Er schreibt sich an der Uni ein und sucht eine Bleibe. Im Interview erinnert er sich noch sehr detailliert daran, wie das WG Casting am 29. November 1988, um 19 Uhr in der Hustadt gar kein Problem für ihn darstellt, da auch seine künftigen Mitbewohner absolut filmbegeistert sind.

Zuvor, am Vormittag desselben Tages, hatte er an einem Clown-Workshop an der Ruhr-Universität teilgenommen, der sein schauspielerisches Talent erstmals offenkundig zutage förderte. „Aus irgendeinem Grund – ich kann mir heute nicht mehr erklären, warum […] – habe ich angefangen Gas zu geben.“, erinnert sich Giampiero. Die Clown-Trainerin, Hannelore Taschenberger, ist begeistert von seinem schauspielerischen Talent, zeigt sich irritiert darüber, dass Giampiero angeblich noch nie davor Theater gespielt hat und empfiehlt ihm direkt, sich bei Schauspiel- und Clownschulen zu bewerben und drückt ihm einen Stapel Prospekte in die Hand. Mit dem inneren Auftrieb, der ihm diese Erfahrung verleiht, geht er zu dem WG-Casting und findet sein erstes Zuhause für die nächsten Jahre in der Bochumer Hustadt. Und einer der Mitbewohner wird später der Patenonkel seines Sohnes werden.

Giampiero freundet sich sofort mit seinem neuen Leben in Bochum an:

„Ich habe Bochum eigentlich immer als eine sehr lebendige Stadt erlebt und das tue ich auch heute noch und kann durchaus sagen, dass es mich mit einem gewissen Stolz erfüllt, dass ich zu dieser Lebendigkeit beitragen kann - mit meiner Arbeit.“ 

Im Mai 1989 feiert Giampiero eine erste Premiere auf einer Theaterbühne. Und 1990 inszeniert er bereits sein erstes selbst geschriebenes Stück, in welchem er Bezug auf das Leben und die Werke von Vincent van Goch nimmt. Die ganzen 1990er Jahre hindurch trainiert er für die Bühne mit Sprachschulungen, Fechtunterricht usw. und spielt immer mehr Rollen an verschiedenen Theatern. Mit fünf Produktionen jährlich, gewinnt Giampiero zunehmend Bühnenerfahrung.

Es sei für ihn eine Art Bestimmung gewesen, Schauspieler zu werden und „es war auch kein Zufall, dass ich die ganzen 80er Jahre, nachdem ich mit der Schule fertig war, auch sonst nichts gelernt habe. […] Irgendwann war es besiegelt, ich habe meinen Ort gefunden. Es ist die Bühne, es ist das Theater. […] Und das ist ein Ort, an dem sich alle Orte versammeln, sich alle Arten von Wesen und Menschen versammeln.“

Youtube-Link: https://youtu.be/7vp5p1C4Wkk

Interview, Video, Fotos: Sören Meffert
Text: Patrick Ritter

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