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Veröffentlicht am 16.02.2023

Im Porträt: Krzysztof Gruse | „Ich fühle mich in Bochum zu Hause, es ist meine Stadt.“

„Ich mache verschiedene Sachen, male, singe, tanze und schreibe. Mich beschäftigt das Absurde. Ich spüre dem nach, was allgemein üblich ist. Mich beschäftigt das Lokale. Das Wiederholen der Welt heiligt die Welt. Oft ist die sogenannte Neuheit die älteste Sache, die man sich überhaupt vorstellen kann. Mein Dasein berechtigt mich zum Dasein sofort, unmittelbar, ohne irgendwelche Zulassungsbedingungen.“
Krzysztof Gruse

Krzysztof Gruse

1957 Bydgoszcz (Polen)
seit 2000 in Bochum


Ich fühle mich in Bochum zu Hause, es ist meine Stadt. Nach 20 Jahren hier, weiß ich, dass ich Bochum lieben gelernt habe, weil ich es auf eine tiefe Weise kenne. Das Kuriose ist, dass viele Teile der Schönheit dieser Stadt nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind. Aber in dieser Stadt gibt es eine sehr interessante Mischung aus Kultur, industrieller Vergangenheit und Menschen. Es ist klar, wenn wir über Bochum sprechen, dass es dort keine pittoreske Altstadt gibt, aber durch die Menschen kann man die Geschichte dieser Stadt und ihre Tiefe entdecken.

Ich gehe gerne in und um Bochum spazieren und habe dabei viele Orte entdeckt, die mit der industriellen Vergangenheit der Region zu tun haben und die für meine Arbeit wichtig waren. Ich gehe auch gerne an der Ruhr entlang. Es wäre toll, wenn der Fluss mitten durch die Stadt fließen würde.

Es ist eine Stadt, in die man durch Zufall kommt. Man weiß nicht, wie lange man bleiben wird, und nach und nach wird es zu einer Art Magnet, ich weiß nicht, aber auf jeden Fall bin ich hier glücklich. Ich mag die Atmosphäre auf den Straßen und in der Nachbarschaft. Sie ist eine Gesellschaft der Arbeiterklasse. Wenn ich hier in meinem Atelier arbeite, sehe ich die Großmutter, die Studierenden, die Arbeiter:innen, die unterwegs sind. Man kann die Energie einer lebendigen Stadt spüren. In meinem Atelier habe ich meine Ruhe, aber wenn ich will, kann ich rausgehen und meine Nachbar:innen treffen und mit ihnen ins Gespräch kommen. Es ist der Rhythmus einer kleinen Stadt, und das ist es, was mir gefällt und was mich interessiert.

In meiner Zeit in Bochum habe ich die Menschen unter anderem durch die Räume, die wir gemeinsam geschaffen haben, von Herzen kennen gelernt. In der Zeit, in der das FKT, Freies Kunst Territorium, aktiv war, haben wir zum Beispiel Workshops veranstaltet, bei denen unterschiedliche Menschen - von Kindern bis zu älteren Menschen - zusammenkamen. Die persönlichen Beziehungen, die in diesen geschaffenen Situationen entstehen, haben oft eine große Tiefe.  Die künstlerische Arbeit der Bochumer Off-Szene ist natürlich mit Begegnungen mit vielen Bochumer Kunstschaffenden verbunden. Für mich begannen diese Begegnungen in der Rottstraße, wo gemeinsam mit Künstlern wie Manfred Duch eine kollektive Aktion zur Wiederbelebung der Rottstraße initiiert wurde. Die Galerien, Bars und Ateliers, die heute dort zu finden sind, sind zum Teil das Ergebnis dieser kollektiven Bemühungen.

Der Prozess, ein Bewohner dieser Stadt zu werden, hat für mich mehrere Etappen durchlaufen.  Eine davon ist die Schaffung eigener kleiner Traditionen, Momente, die sich in Zyklen wiederholen. In meiner Arbeit ist es zum Beispiel eine dieser Traditionen, dass ich seit mehreren Jahren am „Tag der offenen Ateliers in der Speckschweiz“ teilnehme. Diese Traditionen schaffen das Gefühl der Zugehörigkeit, dass ich hier in der Nachbarschaft eine Art Familie unter Künstler:innen und Kulturschaffenden habe. Am „Tag der offenen Ateliers“ trifft man nicht nur Kunstschaffende, sondern auch andere Menschen. Zum Beispiel sitzt man mit den Nachbar:innen, die das Atelier besuchen, zusammen und spricht über Kunst. Diese Traditionen und Momente der Begegnung stärken die Idee, dass man nicht allein ist, dass es eine Community gibt, zu der man gehört, dass es Formen der Zusammenarbeit, des Austauschs und der Unterstützung gibt. So wird man Mitbewohner einer Stadt.

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Krzysztofs Sprache ist die Kunst. Um seine Geschichte in Bochum zu erzählen, hat er Werke ausgewählt, die den Prozess seiner künstlerischen Forschung darstellen. Auf Flohmärkten gefundene Fotografien waren der Ausgangspunkt, um die lokale Geschichte der einfachen Leute kennenzulernen und sich vorzustellen, was sie erlebt haben. Einige dieser Fotos wurden in seinen Werken wiederverwendet oder dienten als Inspirationsquelle für Gemälde, wie im Fall des von ihm hier ausgewählten Bildes.

Krzysztof Gruse wurde 1957 in Bydgoszcz (Polen) geboren und versteht sich als Maler und Poet. Er war Mitbegründer der Künstlergruppe „Bydgoszczer Schule“ (1994-2015) und Mitglied im Polnischen und Bochumer Künstlerbund. Seine Arbeiten befinden sich in den Sammlungen Leon Wyczolkowski (Kreismuseum, Bydgoszcz), den Städtischen BWA-Galerien Bielsko-Biala und Bydgoszcz und in privatem Besitz. Seit 2000 arbeitet der Künstler in einem Atelier in Bochum. Hier hat er das FKT, das Freie Kunst Territorium (2009-2014), mitbegründet. Eine ständige Kooperation unterhält Gruse mit verschiedenen polnischen Kunstgalerien, besonders verbunden ist er mit den Musikern und Performern um den Club Mozg in seiner Geburtsstadt Bydgoszcz. Seit 1985 hat er Ausstellungen, Aktionen und Projekte in Polen, Deutschland und im europäischen Ausland realisiert. Seine Werke befinden sich auch in der Städtischen Galerie Herne.

Krzysztof Gruse „Westfälisches Erinnerungspäckchen ...“, Paket mit Fotos in einer Plastiktüte, 2006. Foto: Sören Meffert

Krzysztof Gruse, Ohne Titel, 2017, 120x100 cm

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Text: Alexis Rodríguez Suárez

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