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Veröffentlicht am 11.10.2023

Im Porträt: Lee Hong-Ja | „Ich persönlich habe kaum das Gefühl (in Deutschland) besonders mühevoll gelebt zu haben. Ich denke, dass ich einfach sehr fleißig, einfach sehr tüchtig gelebt habe.“

Min-Dju Jansen hat sich in Bochum Stadt der Vielen vor allem mit der Geschichte der Menschen mit koreanischer Herkunft beschäftigt. Im Frühjahr 2022 hat sie mit Mitgliedern einer koreanischen Kirchengemeinde gearbeitet. Das Ergebnis dieser Arbeit ist eine Reihe persönlicher Geschichten.

Im Porträt: Lee Hong-ja | „나 자신은 내가 (독일 에서) 고생을 했다는 생각은 별로 안들어요. 그냥 이렇게 참 열심히 살았다, 그냥, 참 열심히 살았구나, 이런 생각이 들어요.“
von Min-Dju Jansen

Ich heiße Lee Hong-Ja und wurde 1954 in Korea, in der Provinz Gyeongsang im Südosten Südkoreas geboren. 1975 bin ich als Krankenschwester nach Deutschland gekommen und lebe seitdem hier. Ich habe meinen Mann, der als Bergarbeiter nach Deutschland gekommen ist, hier kennengelernt und habe zwei Kinder, die 1980 und 1982 geboren wurden.
 
Der Alltag
Jetzt, da ich in Rente bin, versuche ich mich viel zu bewegen. Außerdem denke ich, dass ich mich gesund ernähren muss, daher gebe ich mir jeden Morgen Mühe etwas Gesundes zu essen, z.B. verschiedenes Gemüse und Obst. Ich versuche, genug Vitamine zu mir zu nehmen. Außerdem mag ich gerne Nordic Walking. In der Nähe meiner Wohnung liegt der Stadtpark, wo ich jeden Tag ca. 5,5 km laufe. Zur Abwechslung fahre ich auch manchmal woanders hin z.B. an den Kemnader See, zum Hohenstein oder in die Elfringhauser Schweiz. Wenn ich dann zurück nach Hause komme, ist es schon Zeit fürs Mittagessen. Danach gehe ich einkaufen und habe viel Kontakt zu Freunden über KaTalk oder wir telefonieren. Am Wochenende gehe ich in die Kirche.
 
Leben in Korea
Mein Vater war Grundschullehrer. Als er für drei Jahre nach Daegu versetzt wurde, habe ich in Gimcheon die 3. bis 5. Klasse besucht. An diese drei Jahre habe ich eine sehr gute Erinnerung. Ich glaube, dass sie meine Lebensquelle geworden sind. Man sagt ja, dass dieses Alter eine wichtige Zeit für die Entwicklung von Kindern ist, und das spüre ich an mir selbst.
Wir haben an Bächen gespielt, im Herbst haben wir heimlich Getreide von den Feldern gezupft, über dem Feuer gegrillt und gegessen, oder Früchte von den Bäumen gepflückt.
Die Schule allerdings war langweilig. Ich war nie eine fleißige Schülerin, das liegt mir einfach nicht. Ich war immer eher so mittelmäßig und ich glaube, so lebe ich auch heute. Nicht perfektionistisch. Ich denke aber auch, dass es gleichzeitig meine Stärke ist, ich habe dadurch weniger Stress im Leben.
 
Nach der Mittelschule habe ich die Krankenpflege-High-School besucht. Meine Tante, die auch Krankenschwester war, hat mich motiviert, diesen Weg zu gehen. Sie war eine tolle Person und ich bin ihr bis heute dankbar dafür.
 
Wir waren vier Kinder, zwei ältere Brüder, dann kam ich und eine jüngere Schwester. Unser Vater war Lehrer, aber damals haben Lehrer nicht besonders viel verdient. Wir sind nicht ganz arm aufgewachsen. Wir mussten nicht hungern, was für jene Zeit schon gut war, und meine zwei Brüder konnten zur Uni gehen, aber für uns Mädchen war nach der High-School Schluss.
Nach meinem Abschluss habe ich dann eineinhalb Jahre im Krankenhaus gearbeitet und bin dann nach Deutschland gekommen.
 
Der Weg nach Deutschland und Leben in Deutschland
Während ich an der Krankenpflegeschule war, sind ältere Semester schon nach Deutschland gegangen, so dass ich schon etwas über Deutschland gehört hatte. Ich habe mir gedacht, dass ich vielleicht auch nach Deutschland gehe. Ich war damals Anfang 20, da ist man neugierig und mutig, außerdem musste ich ja auch Geld verdienen, da habe ich halt gemacht, was man machen musste.
 
Ich hatte vor der Abreise nach Deutschland, in einem drei Monate langen Vorbereitungskurs für die Ausreise, Deutsch gelernt. Wir sind in einer Gruppe von 230 Leuten in Köln-Bonn aus dem Flugzeug gestiegen, hatten einen sechswöchigen Deutsch- und Eingewöhnungskurs in der Akademie Klausenhof, damals in Borken. Danach kam ich nach Göttingen und habe dort in einem neu gebauten Schwesternwohnheim gewohnt und in der Uniklinik gearbeitet. Wir hatten jede ein kleines Einzelapartment mit Kochnische, eigenem Bad und Balkon. Das war ein großer Unterschied zu Korea, wo wir als Familie alle in einer kleinen Wohnung geschlafen haben.

Wir koreanischen Schwestern hatten ein ganzes Stockwerk für uns. Nach der Arbeit haben wir oft gemeinsam gekocht und gegessen.
Wir waren Anfang 20 und wussten damals kaum, wie man kocht. In Korea hatten wir das nicht gelernt. Ich hatte noch nie Kimchi eingelegt oder ähnliches. Damals in den 70er Jahren gab es keinen Chinakohl in Deutschland, wir haben also Weißkohl genommen und ihn als Kimchi eingelegt. Anfangs hat das natürlich nicht gut funktioniert. Ab und zu habe ich Reis gekocht, aber auch das war lästig. Wenn ich abends nach Hause kam, hatte ich Hunger und keine Lust zu kochen. Ich habe also viel Graubrot mit dem selbst eingelegten Kimchi gegessen. Alle haben damals zugenommen. Es war eine lustige Zeit. Für bestimmt ein Jahr hatte ich aber auch viel Heimweh. Telefonieren konnte man sich damals noch gar nicht vorstellen. Selbst wenn ich in Deutschland ein Telefon gefunden hätte, hätte ich in Korea nirgends anrufen können. Die Briefe haben damals ca. eine Woche gebraucht, um in Korea anzukommen. Bis die Antwort dann wieder zurückkam, verging ein Monat.

Wir haben damals alle fleißig gearbeitet und sehr sparsam gelebt. Unser Einkommen lag bei ungefähr 800 DM. Die Hälfte bis drei Fünftel unseres Gehalts haben wir dann nach Korea geschickt. Wenn ich es mir jetzt so überlege, habe ich schon echt viel Geld geschickt.
 
Eigentlich wollte ich nach den drei Jahren zurück nach Korea. Aber ich hatte ja nichts. Ich dachte, dass ich zumindest ein bisschen Geld verdienen muss, um mit irgendwas zurückzukehren. Wenn man heiratet, muss man ja irgendwas mit in die Ehe bringen, einen Kühlschrank oder einen Herd. Also dachte ich mir, dass ich noch ein bisschen in Deutschland arbeite und dann zurückkehre. In Göttingen gab es ein paar koreanische Theologiestudenten, um die sich eine kleine Gemeinde gebildet hatte. Auf einem koreanischen Kirchenseminar habe ich meinen Mann kennengelernt. Ich bin 1978 nach Bochum gezogen, weil ich eine Stelle in der Anästhesieabteilung eines Krankenhauses bekommen hatte. 1979 haben wir geheiratet. Mein Mann hat bei Opel in Bochum gearbeitet und wir sind letztendlich in Deutschland geblieben. Ich denke, es ist alles gut gelaufen, so wie es gekommen ist.
 
Eine wichtige Person und ein Vorbild für mich, war der Mann meiner Tante väterlicherseits. Er war Christ und sah sehr gut aus. Ich selbst stamme aus einer buddhistischen und konservativen Familie. Mein Vater war streng und, wie es traditionell so üblich war, galt das, was mein Vater gesagt hat.
Nachdem meine Tante geheiratet hat, habe ich gesehen, dass ihr Mann überhaupt nicht konservativ ist und sein Umgang mit meiner Tante war auch ganz anders, was mir sehr gefallen hat. Ich dachte, das könnte daran liegen, dass er Christ ist. Ich wollte aber auch gut vor ihm dastehen, daher bin ich in die Kirche gegangen, die er besucht hat. So bin ich also zum Christentum gekommen. Mein Wunsch war es, später einen Mann zu heiraten, der so ist wie er, und tatsächlich habe ich so einen Ehemann gefunden.
 
Mein Mann und ich hatten ein sehr gutes Verhältnis. Er war eine großartige Person. Er kam als Bergarbeiter nach Deutschland und hat dann nach den eineinhalb Jahren im Bergbau 26 Jahre bei Opel in Bochum gearbeitet. 20 Jahre lang haben wir uns mit unseren Arbeitsschichten abgewechselt. Irgendjemand musste ja zuhause sein, vor allem als die Kinder noch kleiner waren und aus der Kindertagesstätte wieder kamen. Was die Kindererziehung und den Haushalt anging, haben wir alles aufgeteilt. Das haben wir zusammen gut hingekommen. Nicht wie aus einer traditionellen koreanischen Perspektive, dass die Frau von der Arbeit nach Hause kommt und noch den Haushalt erledigen muss. Es war also weniger Belastung für mich. Außerdem hatten wir viel Zeit, uns zu unterhalten und auszutauschen. An den Wochenenden haben wir viele Ausflüge mit den Kindern gemacht, etwas an das sich unsere Kinder noch heute erinnern. Uns war es wichtig, dass die Kinder Koreanisch sprechen und schreiben können. Wir haben uns damit viel Mühe gegeben und ich bin stolz, dass sie nun beide gut Koreanisch können. Als die Kinder noch zur Schule gingen, fielen mir Elternsprechtage sehr schwer. Denn wegen der Sprache, konnte ich nicht gut über meine Kinder sprechen und der Druck, dass das nicht gut funktioniert, war groß.
 
Seit sechs Jahren bin ich verwitwet. Heute kann ich auch wieder über meinen Mann reden, aber es hat vier lange Jahre gedauert, in denen ich in eine Depression gerutscht bin und sehr traurig war. Der Tod meines Mannes war ein deutlicher Wendepunkt in meinem Leben. Vielleicht ist mir der Abschied noch schwerer gefallen, weil wir uns so gut verstanden haben.
 
Wenn ich nach Korea fahre und Leute treffe, die in Deutschland gelebt haben und zurückgegangen sind, sagen sie häufig, dass es ein hartes Leben war. Aber ich persönlich habe nicht das Gefühl, gelitten zu haben. Ich habe einfach das Gefühl, fleißig gearbeitet und gelebt zu haben. Einige alte Schulfreunde sagen, ein zweites Mal würden sie nicht nach Deutschland kommen. Aber ich bereue es nicht, nach Deutschland gekommen zu sein.
Manchmal frage ich mich, was aus mir geworden wäre, wenn ich in Korea geblieben wäre. Ich glaube, meine Gedanken wären viel enger gewesen. Wenn ich in Korea Freunde und Verwandte treffe, geht es immer um Themen wie teure Immobilien, die Kinder und ihre Bildung. Wäre ich dageblieben, würde sich mein Leben wohl auch nur darum drehen.
Ich merke das auch im Dialog mit meinen Geschwistern in Korea. Sie ein paar Tage zu besuchen ist in Ordnung, aber danach wird es langweilig. Generell gibt es einfach einen Unterschied zwischen denen, die in Korea geblieben sind, und denjenigen, die in Deutschland leben, oder zumindest hier gelebt haben und zurückgegangen sind. Mit denen habe ich mehr gemeinsam und unsere Unterhaltungen machen mehr Spaß.
 
Insgesamt habe ich das Gefühl, fleißig und gewissenhaft gelebt zu haben. Die Arbeit hat mir Spaß gemacht und ich hatte Glück, als Narkoseschwester in der Anästhesie zu arbeiten. Ich bin ja nicht sehr groß und auf einer anderen Station wäre es bestimmt sehr anstrengend für mich gewesen.

Rückkehr nach Korea?
Als mein Mann noch lebte, haben wir überlegt zurückzugehen. Wir hatten eine Wohnung in Korea gekauft und haben ungefähr 3 Jahre lang immer wieder 3-6 Monate dort verbracht, um auszuprobieren, wie es sich anfühlt. Am Ende haben wir uns aber gegen die Rückkehr entschieden.
Natürlich, ich vermisse Korea. Es ist schön, dort zu sein, aber eher für den Urlaub. Wenn ich dort leben würde, wäre es schwieriger. Die Hierarchie und Gruppendynamiken sind strenger, enger und weniger frei als hier. Das passt nicht so gut zu mir.
Ich kann mir nicht mehr vorstellen, in Korea zu leben, aber es wäre schön, ein Altenheim für Koreaner*innen in Deutschland zu haben, wo das Pflegepersonal Koreanisch spricht und es koreanisches Essen gibt. Ich glaube für viele Koreaner*innen, die hier leben, wäre das eine gute Sache. Denn natürlich frage ich mich schon, was ich machen würde, wenn ich krank werden sollte und noch älter werde.

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Interview, Text: Min-Dju Jansen
Foto: Min-Dju Jansen, Miguel Ángel Castillo Archundia

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