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Veröffentlicht am 25.05.2023

Im Porträt: Mohammad Reza Ghafariha | „Ich weiß es nicht, Bochum war wie ein Magnet.“

Künstler und Architekt, Familienvater und Großvater, geboren 1954 und aufgewachsen im Iran, Studium in England und in Deutschland.

Reza, wie er von den meisten in seinem Umfeld genannt wird, wuchs im Iran auf. Geboren wurde er am 18.6.1954, in Teheran. Seine Eltern betrieben nördlich von Teheran in Chalus (persisch: چالوس) am kaspischen Meer eine geerbte Orangenplantage. Mit 19 Jahren reiste er nach England, um dort am Harrogate College of Further Education Agrarwissenschaften zu studieren. Zunächst vertiefte er dort seine Englischkenntnisse und begann dann das Studium. Als er während eines Praktikums auf einem englischen Bauernhof merkte, dass es so gar nicht das Richtige für ihn war, wechselte er bald auf das Leeds College of Building, um Architektur zu studieren.

Eigentlich hatte Reza nicht geplant, sich in Deutschland niederzulassen, doch die Wirren der Islamischen Revolution 1979 im Iran führten dazu, dass er sein Studium in England unterbrechen musste. Die englische Botschaft in Teheran hatte ihren Betrieb eingestellt, als Reza gerade zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder bei den Eltern zu Besuch war. So konnte er keine neue Einreisegenehmigung nach England bekommen. Das einzige westeuropäische Land, das die Beziehungen zu Teheran zu dieser Zeit noch aufrecht erhielt, war Deutschland, sagt er. So machte sich Reza die Hoffnung, über einen Aufenthalt in Deutschland bald wieder den Weg nach England zu finden, um dort weiter zu studieren. In Deutschland fand sich zunächst die Möglichkeit, an der Schiller International University Heidelberg University zu studieren. Doch bald durften keine Devisen mehr aus dem Iran ins Ausland überwiesen werden, insbesondere nicht an Schüler- und Student*innen. Die finanzielle Unterstützung der Eltern fiel also weg.

Reza musste das Studium abbrechen und zog 1980 zunächst nach Witten zu Verwandten. Er lernte eine deutsche Frau aus Bochum kennen. Sie zogen 1981 in Bochum zusammen, heirateten und bekamen 1983 einen gemeinsamen Sohn. Die Ehe wurde einige Jahre später im Guten einvernehmlich aufgelöst. Aber die ehemalige Familie hält im Alltag noch fest zusammen und Reza hat mittlerweile auch zwei Enkelkinder in Bochum, wodurch die Stadt umso mehr sein Zuhause wurde.

Aus der Notwendigkeit heraus, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und die Familie mit zu versorgen, nahm er unterschiedliche Jobs an, bei denen auch seine Fertigkeiten in Gestaltung und bei Konstruktionsverfahren gefragt waren. Unter anderem arbeitete er zwischen 1986 und 1990 für die Essener Firma Wörtler Lichtwerbung GmbH. Während dieser Zeit entwarf er für einen Auftrag der Stadt Bochum Elemente der Weihnachtsbeleuchtung, die bis vor wenigen Jahren die Straßenlaternen am Bochumer Hauptbahnhof schmückten.

Bild: Mark-Jan De Jong: „2013-11-30_1 / Christmas lights at Bochum Hbf. Frohe Weihnachten“, 2013, Flick.com, Link: https://www.flickr.com/photos/97714648@N06/11156685846/in/photolist-hZSW1w, letzter Zugriff: 25.5.2023

Das Studium der Architektur führte er nicht weiter in einem offiziellen Rahmen fort. Er blieb dem Metier aber sein Leben lang treu. Freiräume für sein künstlerisches Selbststudium fand er in Bochum zunächst in einem Atelier in der Adolfstraße mit zwei iranischen Künstlern, einer von ihnen hieß ebenfalls Reza, der andere Hamid und Peter aus Deutschland. Die Gruppe mietete die Halle einer ehemaligen Rollmopsfirma in der Adolfstraße an und setzte sie auf eigene Kosten notdürftig instand, da sie zuvor durch einen Brand Schaden genommen hatte. Sie betätigten sich in Bildhauerei, Malerei und Konstruktionszeichnungen. Nur Peter, der eher an Veranstaltungsplanung interessiert war, zog es schon bald nach Berlin. Da ihnen die Mittel fehlten, das Dach reparieren zu lassen, gaben sie das Atelier bald wieder auf.

Reza suchte die Nähe zum Musischen Zentrum der Ruhr-Uni Bochum, wo er auch ohne offiziell dort zu studieren, Raum für seine künstlerische Arbeit fand. Seit 1987 beschäftigte er sich dort und andernorts im Ruhrgebiet mit Malerei, Plastik, Grafik und Druckgrafik. Mit einigen seiner Kunstwerke experimentierte er an der Schnittstelle zwischen der persischen Kalligraphie und dem architektonischen Potential der Schrift. So blieb er über die Kunst und die Literatur weiterhin mit der iranischen Kultur verbunden. Er beteiligte sich an verschiedenen Ausstellungen und gab zum Teil auch Workshops.

Da für Reza dieser Ort viele Jahre eine besondere Rolle spielte, besuchten wir mit ihm das Musische Zentrum und sprachen dort mit ihm über seine Erinnerungen an seine alte Wirkungsstätte und über sein Leben in Bochum:

Youtube-Link: https://youtu.be/8rBtIT4ECLo

Formen finden. Formen schreiben“, Flyer, Musisches Zentrum, Ruhr-Universität Bochum, Ausstellung zur Kulturhauptstadt RUHR.2010

Mohammad Reza Ghafariha: „Mohammad“, Schriftkonstruktion, Ton, Öl, Vergoldung, Durchmesser 28 cm, 2011, Bild: Sören Meffert

Mohammad Reza Ghafariha: „Mohammad Ali“, Schriftkonstruktion, Holz, Poliment, Öl, Vergoldung, 28 x 16 x 24 cm, 2010, Bild: Sören Meffert

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Text: Patrick Ritter, Video und Objektfotografie: Sören Meffert

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