Veröffentlicht am 07.10.2023
Im Porträt: Mohammad Serdani | „Man ist entwurzelt, aber nicht getötet. Ich habe gelernt, durch diese labilen Wurzeln auch fröhlich zu sein.“
Mohammad Serdani lebt bereits seit über 50 Jahren in Bochum. Während der Interkulturellen Woche Bochum, im Herbst 2022, folgte er einer persönlichen Einladung und besuchte unseren Projektraum (Erzähl-Labor und Sammlungsraum) in der Innenstadt. Im Interview gewährte uns einen Einblick in sein bewegtes Leben, das ihn aus dem Iran über Hamburg nach Bochum führte.
Im Porträt: Mohammad Serdani | „Man ist entwurzelt, aber nicht getötet. Ich habe gelernt, durch diese labilen Wurzeln auch fröhlich zu sein.“
von Patrick Ritter, Video: Sören Meffert
Mohammad Serdani wurde 1942 in Quom bzw. Ghom (Iran) geboren. Den Rufnamen Mehdi, mit dem ihn viele Menschen in Bochum kennen, hat er schon von Kindheitstagen an. Mit dem Vorhaben, in Deutschland zu studieren, reiste er 1967 nach Hamburg und schrieb sich dort 1970 an der Universität ein.
Professor Heribert Busse, der Islamwissenschaft in Hamburg unterrichtete, nahm ihn schon bald, 1971, als wissenschaftlichen Mitarbeiter mit nach Bochum an die Ruhr-Universität. Die Ruhr-Uni war nicht einmal zehn Jahre zuvor gegründet worden (1962) und nach und nach wurden immer mehr Institute gegründet. Dort arbeitete Mohammad Serdani am Lehrstuhl von Professor Heribert Busse und unterrichtete Persisch. 1979 beendete Mohammad Serdani „ganz gelassen“ seine Promotion*(s. Anm. 1), sagt er im Interview.
Weil er zu der Zeit auch politisch aktiv war, konnte Mehdi lange nicht in den Iran reisen. 1979, als die Revolution im Iran begann, brach er in Deutschland alles ab und flog zurück in den Iran, „mit großer Hoffnung und Illusionen“, dass die Revolution einen demokratischen und freiheitlichen Ausgang für die Gesellschaft nehmen würde. Weil sich Mehdi für freiheitliche Positionen stark machte und politisch dafür eintrat, sah er sich 1981 gezwungen, für einige Monate „im Untergrund“ zu leben, als die Islamistischen Revolutionäre sich klar gegen den ersten demokratisch gewählten iranischen Präsidenten Abolhassan Banisadr wandten.* (Anm. 2) Und Ende 1981 verließ er schließlich das Land. Im Dezember 1981 kam er nach einer beschwerlichen zweimonatigen Reise in Bochum an und beantragte Asyl, das er umgehend erhielt.
In den 1980er Jahren gab es viel Arbeitslosigkeit in Deutschland, dadurch konnte Mehdi nicht wieder direkt an der Universität arbeiten. Aber seine früheren Kontakte zur Universität halfen ihm dabei, mit Übersetzungen auch im wissenschaftlichen Bereich weiter beruflich aktiv zu sein. Ein paar der Werke, die er ins Persische übersetzt hat, sind weiter unten erwähnt. (Anm. 3)
„Dann habe ich einen Antrag als Übersetzer, als beeidigter Dolmetscher gestellt und daraufhin die Erlaubnis bekommen. Am Südring 18 habe ich ein Büro eröffnet, mit einem ehemaligen Kommilitonen. Atlas Übersetzungsbüro […] Und gleichzeitig hatte ich im wissenschaftlichen Bereich, in Theologie und Literatur gearbeitet. Einige Bücher habe ich übersetzt.“
In dem Büro war er von 1984 bis 2004 tätig. Viele der Übersetzungsaufträge erhielt das Büro aus dem Industriebereich, von Mercedes Benz, Siemens und vielen und anderen. Die Entwicklung der Europäischen war „eine Quelle für viele Aufträge“, erzählt er. Es entstand ein lebendiger Markt für Übersetzungen aus zahlreichen Sprachen ins Deutsche und umgekehrt. Mehdi Serdani war dabei für Persisch und Arabisch zuständig.
Mehdi konnte sich damit ein gesichertes Leben in Bochum aufbauen. Er heiratete und bekam mit seiner Frau Sari zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, Yasser und Mona. Seine Frau Sari Serdani war in Bochum unter anderem im sozialen Bereich sehr engagiert, vor allem im Verein MONA e.V., eine „internationale Kontakt- und Beratungsstelle für Frauen und Mädchen", den sie 1988 bis 2000 leitete. Später wurde der Verein in MIRA e.V. umbenannt. Über die vielen Jahrzehnte des Lebens in dieser Stadt, durch den Beruf und durch sein Familienleben, sei er Bochumer geworden, sagt Mehdi überzeugt mit einem Lächeln auf den Lippen.
Seit einigen Jahren verbringt Mehdi Serdani abwechselnd drei bis vier Monate im Iran, um Freunde und Verwandte zu sehen und ist dann wieder für einige Monate in Bochum. Auch über die Sprache, die Wissenschaft und die Literatur und über freundschaftlichen Austausch mit vielen Menschen blieb er stets mit dem Iran verbunden und äußerte neben vielen anderen spannenden Ansichten die folgende:
„Man ist entwurzelt, aber nicht getötet. Ich habe gelernt, durch diese labilen Wurzeln auch fröhlich zu sein.“
Am Ende unseres Interviews sagte er uns, also Sören Meffert und mir, noch etwas anderes, das bei mir – in Verbindung mit unserem Projekt, aber auch auf persönlicher Ebene – nachhallte und woran ich mich ein Jahr danach noch gut erinnere:
„Das war schön, über diese Sachen zu sprechen und auch etwas aufwühlend. Man sollte sich nicht in der Vergangenheit verlieren – aber es ist manchmal schön, darin spazieren zu gehen.“
Youtube-Link: https://youtu.be/BkHUqrdCiEk
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Interview und Text: Patrick Ritter
Video: Sören Meffert
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Anmerkungen:
*Anm. 1: Mohammad Serdani: Der verborgene Imam: eine Untersuchung der chiliastischen Gedanken im schiitischen Islam nach Ibn Bābūya (gest. 991): Kamāl al-dīn wa-tamām al-niʻma. Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, 1979.
*Anm. 2: Der erste gewählte iranische Präsidenten Abolhassan Banisadr (geb. 22.3.1933, gest. 9.10.2021) hatte sich in den Jahren vor der Islamischen Revolution, 1979, im Exil in Frankreich zu einem der führenden Intellektuellen der iranischen Exilopposition entwickelt und gemeinsam mit Ajatollah Chomeini und seinen Befürwortern die Revolution vorbereitet. Aus dem anfänglichen Bündnis, das erfolgreich die Monarchie im Iran besiegte und den Schah 1979 stürzte, ging Abolhassan Banisadr, 1980, als erster gewählter Präsident hervor. Nach weniger als zwei Jahren Amtszeit hatte er aufgrund seiner Bestrebungen, die Macht der Geistlichen Führer im Iran einzuschränken und aufgrund weiterer freiheitlicher Bestrebungen den Rückhalt durch den Religionsführer Ajatollah Chomeini verloren. Zudem wurde er Ende 1981 des Hochverrats bezichtigt, weil die iranische Armee im ersten Golfkrieg wenig erfolgreich war. Er floh ins Exil nach Frankreich. An der renommierten Sorbonne promovierte er in den Folgejahren und unterrichtete später mehrere Jahrzehnte lang in den Sozialwissenschaften. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Abolhassan_Banisadr
Anm. 3: Auswahl der drei wichtigsten wissenschaftlichen und literarischen Werke, die Mohamad Serdani ins Persische übersetzt hat:
- Sezgin, Fuat: Die Geschichte des arabischen Schrifttums. Bd. 8 & 9. Paderborn: BRILL, 1997.
- Ess, Josef van: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra. Bd. 4. Berlin, Boston: De Gruyter, 1992.
- Schirach, Ferdinand von: Terror. Ein Theaterstück und eine Rede. München: btb, 2016.
Mohammad Serdanis Übersetzung von Ferdinand von Schirachs Werk >>Terror<< erschien im Juni 2023 in Teheran. Foto: M. Serdani