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Veröffentlicht am 04.07.2023

Im Porträt: Reza Beheshtipour | „Dieser Flyer hat mein Leben komplett umgekrempelt.“

Im Jahr 1991 fliegt Reza Beheshtipour, als er noch in Düsseldorf lebt, unverhofft ein Flyer zu, der eine Veranstaltung zur „Traditionellen Musik des Iran“ bewirbt. Nachdem er die Veranstaltung mit einem Freund besucht, kehrt er der Elektrotechnik, die er bis dahin studiert hatte, bald den Rücken und widmet sein weiteres Leben dem Erlernen und später dem Vermitteln der iranischen Musik. Er bringt als ehrenamtlicher Musiklehrer hunderten Menschen in Düsseldorf, Bochum und weit darüber hinaus die traditionelle iranische Musik näher. Seit 2010 hat die von ihm gegründete Deutsch-Iranische Künstlervereinigung SABA e.V. ihren Sitz in Bochum. Bis etwa 2020 veranstaltet der Verein monatliche Konzerte, bei denen Reza Beheshtipours Schüler*innen Auftrittserfahrung sammeln.

Flyer: „Traditionelle Musik des Iran“, Freitag, 11. Januar 1991, Bild: Sören Meffert

Reza Beheshtipour – „Paradiessohn“, wenn man seinen Nachnamen aus dem Persischen ins Deutsche übersetzt – wurde 1959 in Teheran, der Hauptstadt des Iran, geboren. Seit vielen Generationen lebt seine Familie dort, sein Stammbaum lässt sich mehrere hundert Jahre zurückverfolgen. Schon als Kind liebt er die Musik, lernt Trommel und Klavier zu spielen, später kommt die Geige dazu. In seiner Jugend verfolgt Reza zunächst erfolgreich das Kunst-Turnen und wird zu internationalen Wettkämpfen eingeladen. Ein persönlicher Höhepunkt ist für ihn die Teilnahme bei einem internationalen Turnier 1976 in Orléans, Frankreich.

Reza Beheshtipour als Kunstturner, vorne rechts, Mitte der 1970er Jahre. Bild: Privatarchiv

1978 kommt er mit einer Zulassung für ein Studium der Ernährungswissenschaft nach Deutschland. Um studieren zu dürfen, muss er jedoch erst nochmal sein Abitur in Deutschland machen. Während er sein Abitur nachmacht bricht 1980 zwischen dem Irak und dem Iran der erste Golfkrieg aus. Aus dem Iran dürfen keine Devisen ausgeführt werden, also entfällt auch die finanzielle Unterstützung seiner Eltern. Reza schafft zwar das Abitur, aber erlebt nun in Deutschland vorübergehend eine Zeit existenzieller Armut. Der eigentliche Wunsch nach einem Sport-Studium wird vorerst aus ökonomischen Gründen verschoben und er studiert schließlich Elektrotechnik.

Begleitet hat ihn stets die Musik. Heute beschreibt er sich als „einen Menschen, der immer recherchiert – Forscher – Musik-Forscher“. Zudem leitet er die Deutsch-Iranische Künstlervereinigung SABA in Bochum. Dass es dazu kam, ist einem kleinen Zettel zu verdanken, der während seines Studiums in Düsseldorf plötzlich in seinem Briefkasten liegt. Es handelt sich um einen Flyer für ein Konzert mit persischer Musik in Köln. Den Zettel hat er bis heute aufbewahrt – schließlich hat dieser sein Leben verändert. Am Tag des Konzerts ist Reza Beheshtipour mit einem Freund viel zu früh da und will sich das Musikzentrum Nawa, welches das Konzert ausrichtet, genauer ansehen. Dort trifft er in einem dunklen Raum, einen großen iranischen Meister namens Majid Derakhshani. Dieser erzählt ihm von der kürzlichen Neugründung des Vereins. Noch sei kein Geld da, um einen Elektriker zu engagieren, der sich um vernünftiges Licht kümmert. Kurzerhand springt Reza Beheshtipour ein, verlegt einige Kabel, die er im Lager findet und welche er aufgrund seines Elektrotechnik-Studiums einzusetzen weiß. Drei Stunden später gibt es Licht im Verein. Er sieht sich das Konzert an, für das er eigentlich angereist ist. Er ist begeistert von der Musik und lernt über einige Ecken Rahmatulla Badiyi kennen, ebenfalls ein Großmeister der iranischen Kunst-Musik, der ihn daraufhin in Köln unterrichtet.

Reza Beheshtipour beginnt, sich weitere iranische Instrumente beizubringen, selbst Musikunterricht zu geben und bereitet die Schüler*innen des Kulturzentrums auf den Unterricht mit dem Meister vor. Von 1990 bis 2000 bleibt er dort und dieser Erfahrung verdankt er, ein guter Lehrer geworden zu sein, berichtet er. „Kultur-Aktivität“ wird seine höchste Priorität – jeden Tag ist er im Kölner Musikzentrum Nawa, hört große iranische Meister spielen und arbeitet ehrenamtlich als Putzkraft, Lehrer und „Diener des Vereins“, wie er es nennt.

„Mein ganzes Leben, meine Kunst damals, meine Aktivität, verdanke ich diesen 10 Jahren.“

Eines Tages wird er im Musikzentrum Nawa von einem iranischen Arzt, Dr. H. Moschiri, angesprochen. Dieser möchte mit seinem deutsch-iranischen Kulturzentrum Kaweh einen neuen Verein in Düsseldorf gründen und sucht nach Mitgliedern für den Vorstand. Reza Beheshtipour willigt ein, wird in den Vorstand gewählt und leistet dort weitere 10 Jahre einen wertvollen Beitrag zur deutsch-iranischen Kulturvermittlung. Er gibt weiterhin Musikunterricht, nun auch deutschlandweit, und widmet sein Leben der Arbeit im Verein. Ein Denkmal dieser Arbeit ist vor dem Goethe-Hafez-Saal in Düsseldorf installiert worden. Man sieht es heute noch in Düsseldorf-Bilk, unweit der Brunnenstraße, welche über die Düssel führt. Der Stadtbezirksrat kommt auf Reza Beheshtipour zu und man entscheidet sich für ein Stück Stein, eingelassen in den Boden auf dem Karolingerplatz, gewidmet dem deutschen Schriftsteller Goethe und dem persischen Dichter Hafez, angelehnt an das bekannte Goethe-Hafez-Denkmal in Weimar. Verziert ist es u.a. mit einem Schriftzug des Ausrufs der Erkenntnis „Aha“, auf Deutsch und auf Persisch.

     

Goethe-Hafez-Denkmal in Düsseldorf in der Brunnenstraße, Bilder: Patrick Ritter
 
Mit wachsender Bekanntheit gründet Reza Beheshtipour 2010 die Deutsch-Iranische Künstlervereinigung SABA in Düsseldorf-Erkrath und zieht mit dieser 2014 als zweite Geschäftsstelle auch nach Bochum um. Er ist auf eine Einladung, dort zu unterrichten, nach Bochum gekommen. Reza Beheshtipour bemerkt schnell, dass es auch in Bochum einen Bedarf an Musikunterricht für iranische Instrumente und deutsch-iranische Kultur-Aktivität gibt. So entscheidet er sich zu bleiben und in Bochum sein Werk fortzuführen.

„Ich hatte mehr Schüler als Haare auf dem Kopf!“

Reza Beheshtipour unterrichtet mit Ruhe und Geduld. In seinem Unterricht wird die Stimme nicht gehoben. Er trägt diese Ruhe auf seine Schüler*innen weiter, lehrt, richtig zu kritisieren und sich kritisieren zu lassen, entwickelt eine Methode, um den Takt eines Stückes einfach zu erkennen und zu halten – die Intelligenz des Menschen spiele dabei keine Rolle, berichtet er. Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus zahlreichen Nationen nehmen Unterricht bei ihm, häufig nur gegen eine Spende für den Verein.

Reza Beheshtipour in seinem Vereinsbüro und Unterrichtsort in Düsseldorf-Erkrath, Bild: Patrick Ritter

„Wenn du zufrieden bist in dem Moment, wo du dieses Stück raushast – bei jedem Menschen ist das so – wenn der dieses Stück auf Klavier oder irgendeinem Instrument spielt, dann freut der sich. Dieses Lächeln, was der Mensch bekommt, danach bin ich süchtig geworden. Glaub mir. Das ist für mich sehr wichtig. Mein Lohn ist allein das Lächeln auf dem Gesicht der Menschen, so!“

Reza Beheshtipour erlebt zahlreiche Situationen der Dankbarkeit seiner unzähligen Schüler*innen und empfindet großen Stolz dadurch. Vier seiner Schüler*innen wurden in die Düsseldorfer Tonhalle eingeladen, um auf persischen Instrumenten die Düsseldorfer Philharmonie zu begleiten. Einmal wird Reza Behehstipour auf einer Bochumer Bühne von all seinen Schüler*innen aus Karlsruhe überrascht, welche extra angereist waren, um sich bei ihm öffentlich zu bedanken. Ein Mitarbeiter schenkt ihm aus heiterem Himmel eine Italienreise. Eine ehemalige Schülerin wird Ärztin und hilft Rezas jetziger Frau, ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt zu bringen. Reza Beheshtipour erlebt viele solcher Gesten und strahlt, wenn er davon berichtet. Rezas Frau, Shamim Asadinia, ist Kunsthandwerkerin und ist ebenfalls für den Verein SABA e.V. aktiv.

Rezas größter Wunsch ist heute, dass der Verein auch ohne ihn und seine Arbeit weiterleben kann, dass es einen Raum gibt, bei dem sich nicht um Miete gesorgt werden muss und dass sich jemand findet, der mit der gleichen Gelassenheit und Fürsorge für die Schüler*innen die zahlreichen iranischen Instrumente lehren kann.

„Solange ich noch ein bisschen Kraft habe, mache ich weiter.“

Im Video berichtet Reza Beheshtipour von einigen hier erzählten Lebensereignissen sowie von seiner Zeit als Abiturient, während der er aufgrund des Krieges zwischen Iran und Irak kein Geld von seiner Familie bekommen kann und eine schwere Zeit der Entbehrung erlebt – eine Erfahrung, die ihn in mancher Hinsicht stark geprägt hat.

Youtube-Link: https://www.youtube.com/watch?v=LFapdRYAB8k

Interview: Patrick Ritter

Kamera (Video) & Objektfoto: Sören Meffert

Text: Tina Häntzschel und Patrick Ritter

Homepage von Reza Beheshtipour: https://rezabeheshtipour.com/

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