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Veröffentlicht am 02.10.2023

Im Porträt: S. | „Ich kooperiere mit jedem. Von der Security bis zu den Leuten im Heim, und da sind nicht nur Geflüchtete, sondern auch Obdachlose oder Alkoholiker, aber das macht mir nichts aus. Mensch ist Mensch. So gehe ich rein und so komme ich raus.“

S. ist im Iran geboren und kam als Studentin 1982 nach Bochum an die Ruhr-Universität. Seitdem lebt sie in Bochum. Seit sie in Rente ist, reist sie sehr viel mit ihrem Ehemann, sieht sich die Welt an und besucht ihre Geschwister, die überall auf der Welt verstreut leben. Unsere Teamkollegin Dina Purits kennt S. von ihrer gemeinsamen Arbeit als Sozialarbeiterinnen in einer Geflüchteten-Unterkunft in Hattingen, wo beide für die IFAK gearbeitet haben. In dem Interview erzählt S. Dina vom Ankommen im Studentenwohnheim als alleinerziehende Mutter, von der Liebe zu ihrem Ehemann, von der Unterstützung die sie durch seine Familie bekam und wie sie es geschafft hat, so positiv und voller Kraft durchs Leben zu gehen.

Im Porträt: S. | „Ich kooperiere mit jedem. Von der Security bis zu den Leuten im Heim, und da sind nicht nur Geflüchtete, sondern auch Obdachlose oder Alkoholiker, aber das macht mir nichts aus. Mensch ist Mensch. So gehe ich rein und so komme ich raus.“
von Dina Purits

Obwohl S. schon längst in Rente ist, ist ihr nie langweilig. Einfach nur die Rente genießen, ist nicht ihr Ding. Sie sagt selbst, dass sie gerne weiterhin arbeiten kann und will, weil sie da etwas bewegen und den Leuten helfen kann. Dies war schon immer ihr Ansatz, der sich durch ihr gesamtes Leben schlängelt. Dabei hat sie sich an zwei Leitbildern orientiert: „Erstens: Nicht aufhören, positiv denken, weitermachen. Auch wenn man hinfällt, aufstehen und weitermachen und zweitens: Immer den Menschen helfen.“ S. sagt, dass diese positiven Gedanken ihr geholfen haben.

Jahrelang hat sie in Vollzeit eine Kita geleitet und jetzt, als Rentnerin, arbeitet sie als Honorarkraft in einer Unterkunft für Geflüchtete. Sie sagt, dass die Leute gerne zu ihr kommen, egal ob mit Formularen oder mit Hausaufgaben, weil sie ihr vertrauen und wissen, dass sie hier ist, um ihnen zu helfen. Außerdem ist sie bereits „im ausgeglichenen Alter“ und so fühlen sich alle bei ihr in der Beratung wohl. S. berichtet, dass sie für jeden da ist, der zu ihr kommt. Dabei spielt es keine Rolle, ob es ein Mann, eine Frau oder Kinder sind, auch der Glaube der Leute ist für sie irrelevant.

S. selbst ist als Studentin 1982 aus dem Iran nach Bochum gereist. Damals hatte sie schon einen fünfjährigen Sohn, mit dem sie zusammen nach ihrer Scheidung aus dem Iran nach Deutschland gekommen ist. Ihr Onkel war Kinderarzt in Bochum und daher hatte sie in der Stadt eine Anlaufstation. Sie erzählt, dass ihr Vater sie nach Deutschland geschickt hat, damit sie ein Leben in Freiheit leben kann. Um über die Runden zu kommen, haben sie sowohl ihre Eltern im Iran, als auch ihr Bruder in Österreich finanziell monatlich unterstützt. Auf staatliche Unterstützung hat sie verzichtet, dazu war ihre Familie zu stolz. Ihre Familie stand damals und steht auch heute noch für sie an erster Stelle.

In Deutschland wurde ihr Abitur nicht anerkannt, sodass sie erst das Studienkolleg absolvieren musste, um studieren zu können. Nachdem sie diesen ersten Schritt getan hatte, schrieb sie sich an der RUB als Studentin für das Fach Geologie ein, wo sie ihren heutigen Ehemann kennenlernte. Nach sechs Semestern kam ihr zweiter Sohn zur Welt. S. entschied sich, das Studium abzubrechen, weil die Jobaussichten damals für Geologen nicht gut waren und schrieb sich für Sozialpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule in Bochum ein.

Nebenbei arbeitete sie als Helferin in einem Kindergarten und konnte sich dann nach einer externen Prüfung als Erzieherin einstellen lassen. Als sie mit dem Studium fertig war, bewarb sie sich bei einer evangelischen Stiftung und wurde aus 40 Bewerber*innen ausgewählt. Über 20 Jahre lang hat sie danach eine Kita in Bochum geleitet. Auch wenn dies nicht leicht war, hat sie dies auch gemacht, weil ihr das Wohl der Kinder sehr am Herzen lag und sie die Zusammenarbeit mit den Kindern und deren Familien so sehr mochte.

„Ich war keine Leiterin, die im Büro sitzt, sondern ich habe mich um die Kinder sehr gekümmert.”

Sie sagt von sich, dass sie als Chefin nie ein besonders autoritärer Mensch war, sondern immer viel Wert auf Freiheit gelegt hat. Auch bei der Förderung der Kinder, ging es ihr vor allem darum, dass sie lernen, selber zu denken.



Als Mutter von zwei Kindern hat sie immer auch beruflich gearbeitet und möchte Frauen hier in Deutschland, die aus anderen Ländern kommen, ein Vorbild sein. S. betont immer wieder, dass sie viele Gespräche führt, um zu zeigen, dass es wichtig ist, dass die Frauen nicht nur zu Hause bleiben, sondern die Sprache lernen und selbstständig werden. Sie erzählt aber auch, dass eine solche Selbstständigkeit ein starkes soziales Umfeld braucht. Ihre eigene Familie habe in jeder Hinsicht viel Unterstützung von der Familie ihres Ehemanns erhalten, sie haben öfter für die Familie Essen gemacht, Wäsche gewaschen oder auf die Kinder aufgepasst, wenn es nicht anders ging. S. sagt selbst, dass sie es sonst nicht geschafft hätte als Leitung in Vollzeit in der Kita zu arbeiten. 

Sie sagt, dass sie nie einen Kulturschock hatte, vielleicht weil ihr Vater sie schon immer liberal erzogen hatte. In Bochum hat sie sich schnell angepasst, hat ihre Haare lang wachsen lassen, ihren Schmuck abgelegt und sich selbst als emanzipierte Frau verstanden. Auch ein Professor von der Universität sagte damals zu ihr: „Hier in Deutschland wird über Emanzipation geredet, aber eine echte emanzipierte Frau – sind Sie.“

Gelebt hat S. während ihres Studiums zum größten Teil vom Geld, das ihr Vater aus dem Iran und ihr Bruder aus Österreich schickten. Sie sagt, dass sie jedoch nie viel gebraucht habe und sie immer sparsam gelebt habe. Da ihr Onkel nicht wollte, dass sie staatliche Hilfen beantragt, arbeitete sie in den Sommerferien in einer Radiofirma und prüfte dort, ob die Radios gut funktionieren und verkauft werden konnten.

“Meine Heimat ist für mich, wo meine Familie ist – und das ist in Bochum.”

Jetzt wo S. in Rente ist, achtet sie darauf, sich gesund zu ernähren und jeden Tag 10.000 Schritte zu laufen. Sie und ihr Mann reisen viel durch die Welt und besuchen all die Verwandten, die überall in der Welt verstreut im Exil leben und versuchen so die Familie zusammenzuhalten.



Dafür, dass sie es weit gebracht hat, ist sie dankbar und findet dann, dass es all die Anstrengungen wert war, die sie auf sich genommen hat. Sie sagt: „Was soll ich mehr haben? Ich bin unabhängig. Ich habe meine Rente, unabhängig von meinem Mann. Mein Vater hat schon damals gesagt: ‚Geh nicht zu einem Mann und sag, dass du Geld haben willst.‘ So fortschrittlich war mein Vater schon.“ Wenn S. nun auf ihr Leben zurückschaut, dann sagt sie immer, dass sie die Erfolge sieht.

„Ich war in jeder Situation in meinem Leben positiv und glücklich.“

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Interview: Dina Purits
Fotos: Patrick Ritter

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