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Veröffentlicht am 13.10.2023

Im Porträt: Han Bok-Hee und Seo Jae-Gi | „Bochum ist unsere Heimat, es gibt nichts Bestimmtes, das gut ist, alles ist gut, weil es eben unsere Heimat ist.“

Min-Dju Jansen hat sich in Bochum Stadt der Vielen vor allem mit der Geschichte der Menschen mit koreanischer Herkunft beschäftigt. Im Frühjahr 2022 hat sie mit Mitgliedern einer koreanischen Kirchengemeinde gearbeitet. Das Ergebnis dieser Arbeit ist eine Reihe persönlicher Geschichten, manchmal in zwei Stimmen.

Im Porträt: Han Bok-Hee und Seo Jae-Gi | „보훔은 고향이에요, 고향이니까, 뭐 특별히 좋다 기보다는, 그냥 다 좋아요, 고향 이니까“
von Min-Dju Jansen

Han Bok-Hee wurde 1956 in Seoul geboren. 1980 zog sie mit der gemeinsamen Tochter zu ihrem Mann nach Deutschland, wo sie nach ein paar Jahren eine Ausbildung zur Krankenschwester machte.
Seo Jae Gi wurde 1952 während des Korea-Kriegs ebenfalls in Seoul geboren. 1977 ging er als Bergarbeiter nach Deutschland und landete in Recklinghausen. Ursprünglich hatte er vor, nach drei Jahren zurück nach Korea zu gehen, doch als die drei Jahre zu Ende gingen, wollte seine Frau 'raus aus Korea, so dass er geblieben ist und zum Glück eine Anstellung bei Thyssen in Bochum gefunden hat.  Heute sind die beiden in Rente.

Zeit in Korea
Seo Jae-Gi erinnert sich daran, dass es für ihn in den 50er Jahren nur einmal am Tag zu essen gab, weil die Zeiten so schwierig waren. Seine Tochter sagte ihm einmal, dass der Hunger, den er als Kind erlebt hat, wohl als Trauma bei ihm hängen geblieben sei und er sich daher immer viele Gedanken ums Essen machen würde. „In der Schule,“ erzählt Seo Jae-Gi, „gab es häufig Maisbrei, der in Milch aufgekocht wurde. Meine Sitznachbarin, die wahrscheinlich aus einer Militärfamilie stammte und etwas mehr Geld hatte, brachte oft Zucker mit, den sie mit mir teilte, um den Brei schmackhafter zu machen, sie war wie ein Engel und meine erste Liebe“.
Seine Frau erzählt darauf hin, dass sie versucht habe, die alte Sitznachbarin für ihn ausfindig zu machen, weil die Erinnerungen an sie so tief bei ihm sitzen würden und sie es ihm gerne ermöglicht hätte dieses „Mädchen“ einmal wieder zu treffen, doch leider habe sie sie nicht finden können.
Das Ehepaar war auf der gleichen Grundschule, lernte sich allerdings erst viele Jahre später in der Kirche kennen.  Was das Essen angeht, erzählt Bok-Hee, dass es bei ihr nicht viel anders gewesen sei. Häufig habe es Gerstenbrei gegeben, Reis war kostbar. Wenn die Amerikaner Mehl verteilten, kochte ihre Mutter Sujebi [eine traditionelle, koreanische Teig- bzw. Nudelsuppe.]
, und die Kinder rannten vom Spielen voller Vorfreude nach Hause, um dies zu essen.  Jae-Gi half nach der High-School seinen Eltern mit ihrem Reisgeschäft und ging dann zum Militär. Er hatte Glück im Militär, er bekam genug zu essen, auch Reis. Körperlich sei es anstrengend gewesen, aber er habe nicht mehr so viel arbeiten müssen wie vorher. Anders als viele andere wurde er nicht geschlagen und hatte einen guten Vorgesetzten. Bok-Hee arbeitete nach ihrem High-School Abschluss ca. zwei Jahre als Stewardess in Überlandbussen. Als Jae-Gi aus dem Militärdienst entlassen wurde, heirateten die beiden im Oktober 1976 und bekamen 1977 eine Tochter.

Der Weg nach Deutschland
Jae-Gi, der eigentlich in Korea bleiben wollte, entschloss sich letztendlich doch ins Ausland zu gehen, da er nach seinem Militärdienst keine Arbeit in Korea fand. Er bewarb sich für Deutschland und Kuwait. In der Eignungsprüfung für Deutschland, in der man drei Phasen bestehen musste (ca. 60 kg schwere Sandsäcke heben, Bewerbungsgespräch, Gesundheitstest) fiel er durch, da etwas mit seiner Wirbelsäule nicht in Ordnung war. Für Kuwait wurde ihm zugesagt und er konnte zur Vorbereitung, noch in Korea, eine sechsmonatige Ausbildung zum Schweißer machen. Während er auf seinen Pass wartete, um nach Kuwait zu gehen, bekam er eine Nachricht von deutscher Seite, dass er doch nach Deutschland kommen könne. Ihm schien dies besser als Kuwait. Seine Ausbildung zum Schweißer schien nun erst einmal nicht gebraucht zu werden, sollte ihm aber Jahre später ermöglichen, in Deutschland als Schweißer zu arbeiten.
Jae-Gi ging nach Deutschland, wo er in Recklinghausen als Bergarbeiter unter Tage arbeitete, als die drei Jahre seines Vertrags zu Ende gingen, hatte er bereits eine Stelle bei LG in Korea gefunden, da seine Frau aber nicht mehr in Korea bleiben wollte, musste er sich schnell eine Stelle in Deutschland suchen. Innerhalb eines Monats organisierten sie den Umzug von Bok-Hee und der kleinen Tochter nach Deutschland, sie fanden eine Wohnung in Mülheim und zogen kurz darauf nach Hattingen, als Jae-Gi eine Anstellung als Schweißer bei Thyssen in Bochum bekam. Der Personalchef bei Thyssen war überrascht über Jae-Gis Deutschkenntnisse und half ihm, schnell eine Stelle zu bekommen, obwohl sie zu jener Zeit gar keine Stellenausschreibung hatten. „Ich bin ihm bis heute dankbar, dass er das in die Wege geleitet hat", erzählt Jae-Gi. Er machte viele Überstunden und wurde sogar als bester Schweißer bei Thyssen ausgezeichnet. 1983 zog die Familie nach Bochum.

Bok-Hee konnte kein Deutsch als sie nach Deutschland kam. „Anfangs konnte mein Mann nicht verstehen, warum ich Deutsch lernen will, wenn ich doch eh nur zuhause mit den Kindern bin. Das hat mich damals sehr verletzt und gekränkt.“ Dennoch habe sie angefangen, einen Sprachkurs zu besuchen. Als wir in Korea geheiratet haben, hatte ich nicht den Gedanken, dass ich unbedingt arbeiten werde, aber hier in Deutschland habe ich die Notwendigkeit gespürt. Wir hatten uns ja schließlich dafür entschieden hier zu leben und ohne Arbeit hätte ich auch später keine Rente bekommen.“ Nachdem ihr Sohn in die Grundschule gekommen ist, hat sie dann mit der Ausbildung zur Krankenpflegerin begonnen. „Der Anfang war sehr anstrengend. Ich hatte immer einen Walkman mit einer selbst aufgenommenen Kassette dabei, die ich immer zwischendurch und sogar beim Schlafen gehört habe.“ Nach ihrer Ausbildung wurde sie von dem Krankenhaus, in dem sie während ihrer Ausbildung war, übernommen und arbeitete dort 26 Jahre. „Es war schon deutlich besser, zu zweit Geld zu verdienen. Auch als wir zu zweit verdienten, waren wir immer sparsam, aber es hat gereicht.“ Der Anfang in Deutschland sei natürlich schwer gewesen, sagt Bok-Hee, „Aber wir haben fleißig und gewissenhaft gelebt, ich glaube deswegen habe ich kaum Erinnerungen an die harten Zeiten.“ Beide sind sich einig, dass das Leben in Deutschland damals einfacher war als in Korea. „Wir hatten damals wirklich nicht viel, aber wir hatten Spaß“.

2001 machten sich die beiden selbständig und eröffneten einen Imbiss für chinesisches Essen in Bochum. Im Februar 2020, nur einen Monat vor dem Corona-Lockdown hörten sie auf. Sie hatten vorgehabt, noch weitere 10 Jahre zu arbeiten, doch nachdem der Vermieter wechselte, mussten sie ausziehen. Rückblickend sagen die beiden, dass es ein Segen Gottes war, direkt vor dem Lockdown aufzuhören. Die ursprüngliche Idee war gewesen, dass Bok-Hee den Laden mit einer Freundin zusammen führt und Jae-Gi weiter bei Thyssen arbeitet. Doch als die Freundin und zukünftige Geschäftspartnerin plötzlich absprang, kündigte Jae-Gi seine Arbeit bei Thyssen und entschied sich, den Laden mit seiner Frau gemeinsam zu führen.

Heute sei es schön, ohne Arbeit in Rente zu sein. „Wir fühlen uns wohl hier in Bochum. Es ist zu unserer Heimat geworden. Es gibt keine bestimmten, großartigen Plätze, es ist einfach gut und seit 1982 sind wir in unserer koreanischen Kirchengemeinde. Es ist schön, dass hier viele Koreaner wohnen und wir unsere Gemeinde haben. Wir haben einfach ein ruhiges Gefühl.“ Sagt Bok-Hee.
„Unsere Tochter hat uns einen Hund geschenkt, mit ihm sind wir gezwungen rauszugehen, was gut ist. Dabei haben wir Kontakt zu deutschen Hundebesitzern bekommen und quatschen immer wieder mit den Omas unserer Nachbarschaft auf der Straße. Etwas, was wir früher kaum gemacht haben.“ fügt Jae-Gi hinzu. Die Stadt an sich habe sich nicht sehr viel verändert, sagen die beiden. Hier und da gebe es neue Gebäude, einiges sei ausgebessert worden, aber alles in allem sei es gleich geblieben.

Zurück nach Korea ziehen wollen die beiden nicht. „Nach den ersten drei Jahren gemeinsam in Deutschland hatten wir überlegt zurückzugehen, aber nachdem die Kinder hier im Kindergarten waren, wollten wir sie nicht in Korea in die Schule schicken. Es war uns aber immer wichtig, dass die Kinder Koreanisch lernen und zuhause haben wir nur Koreanisch geredet. Wir haben sie in die koreanische Schule geschickt und so oft es ging, in den Ferien nach Korea.“ Dadurch, dass wir hier die Kirchengemeinde haben, fühlen wir uns auch nicht einsam, wie viele andere es schon tun.“ Ein weiterer Grund dafür, dass die beiden nicht zurück wollen, ist, dass sie sagen, dass sie dort nichts haben. Ihre Eltern leben nicht mehr, die Geschwister seien noch da, aber es sei nicht dasselbe. „Zum Besuch fahren wir gerne hin, aber dort leben? Was sollen wir da?“ sagt Jae-Gi. Bok-Hee fügt hinzu: „Es ist zu groß und hektisch dort. Für mich ist ein ruhiger Platz, wie hier, besser. Als ich vor kurzem in Korea war und zurückkam, hatte ich das Gefühl, dass ich wieder atmen kann“.
 
Kirchengemeinde
Während der Zeit in Hattingen besuchten die beiden dort eine koreanische Kirchengemeinde, als der Pastor nach Amerika zog, wurde die Gemeinde aufgelöst und 1982 kamen sie zu der koreanischen Kirchengemeinde in Bochum e.V.  Während der Zeit der Militärdiktaturen in Korea arbeiteten einige koreanische Kirchengemeinden zusammen und organisierten Demonstrationen gegen die Militärdiktatur, auch die Gemeinde in Bochum war sehr aktiv dabei. Es kamen mehrere bekannte Gegner der Militärdiktatur nach Bochum und hielten Vorträge, so dass andere koreanische Gemeinden über die Bochumer Gemeinde sagten, sie seien eine „rote“ Gemeinde, in Anspielung auf den Kommunismus. Bis heute seien solche Sprüche im Umlauf. „Andere Gemeinden warnen immer noch vor unserer Gemeinde, das sind die konservativen Leute, die einfach immer noch nicht aufgewacht sind“, sagt Jae-Gi.
Er selbst habe sich in Deutschland sehr verändert. Er sagt über sich selbst, dass er in Korea wie ein Frosch in einem Brunnen gewesen sei. „Erst als ich Korea verlassen habe, habe ich gesehen, dass der Brunnen, in dem ich mich befand, nicht alles ist.“ Das Korea, das er nun sah, war völlig anders als das, was er kannte. „Ein Pastor aus Bochum kam einmal nach Recklinghausen, um dort zu predigen, er sprach über die Menschen in Nordkorea und ich dachte, dass diese Kirche nicht zu mir passt, weil ihre Einstellungen nicht mit meinen übereinstimmten, und ich wollte aus der Kirche austreten, aber insbesondere der Gwangju-Aufstand 1980 in der Stadt Gwanju in Korea hat mir die Augen geöffnet und ich habe angefangen meine Einstellung zu verändern. Es war nicht einfach das Gedankengut, welches ich in 25 Jahren gelernt und verinnerlicht hatte zu verändern, aber mit der Zeit habe ich mehr verstanden.“

„Seit 40 Jahren sind wir in dieser Gemeinde, es ist eine sehr offene Gemeinde, die Mitglieder sind nicht so eingeschränkt, sie gucken auch nach links und rechts, einer der Gründe weshalb wir hierbleiben möchten. Ich habe viele gute Leute hier kennengelernt, Deutsche und Koreaner“, sagt Jae-Gi. Wenn ich in Korea geblieben wäre, wäre ich bestimmt zu einem der konservativen Menschen geworden, die heutzutage zu den Taeguki-Rallies gehen.“ Was Jae-Gi hier anspricht, sind die Pro-Park Befürworter, die 2016/2017 zur Unterstützung der damaligen Präsidentin Park Geun-Hye, die 2017 ihres Amtes enthoben wurde und die Tochter des 1979 ermordeten Diktators Bak Chung-Hee ist, auf die Straße gegangen sind und es bis heute tun.

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Interview, Text, Foto: Min-Dju Jansen

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