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Veröffentlicht am 09.10.2023

Im Porträt: Yang Lee-Sung und Yoo Won-Joo | „Wir haben viele Obstbäume aus Korea wie Birnen, Trauben, Kaki, Äpfel und Pfirsiche.“

Min-Dju Jansen hat sich in Bochum Stadt der Vielen vor allem mit der Geschichte der Menschen mit koreanischer Herkunft beschäftigt. Im Frühjahr 2022 hat sie mit Mitgliedern einer koreanischen Kirchengemeinde gearbeitet. Das Ergebnis dieser Arbeit ist eine Reihe persönlicher Geschichten, manchmal in zwei Stimmen.

Im Porträt: Yang Lee-Sung und Yoo Won-Joo | „Wir haben viele Obstbäume aus Korea wie Birnen, Trauben, Kaki, Äpfel und Pfirsiche.“
Von Min-Dju Jansen

Herr Yang ist 1974 als Bergmann nach Deutschland gekommen. Frau Yoo kam im gleichen Jahr als Krankenschwester. Die beiden sind in kleinen Dörfern in der Nähe von Haenam im Süden der koreanischen Halbinsel bzw. in Iksan aufgewachsen. Sie haben zwei Töchter, die inzwischen in Köln leben.
Seit 1978 wohnen sie in ihrem nun eigenen Bochumer Haus. Als sie dort einzogen, war die Miete sehr günstig, weil es für Bergbauarbeiter besondere Konditionen gab. Nach ein paar Jahren standen sie vor der Wahl, auszuziehen oder die Immobilie als Ganzes zu erwerben. Sie entschieden sich, das Haus zu kaufen und die damit verbundenen Renovierungsarbeiten zu übernehmen.

 

Der Alltag
Frau Yoo: „Wir arbeiten, seitdem wir im Ruhestand sind, häufig in unserem Garten. Mein Mann kümmert sich um ‚seine‘ Weinstöcke und Obstbäume aus Korea - u.a. mit Birnen, Kaki, Äpfeln und Pfirsichen - und ich mich um ‚meine‘ Beete mit Gemüse, Salaten und vielen unterschiedlichen - auch seltenen - Kräutern. Wir pflegen gute Kontakte zu unseren Nachbarn sowie unseren koreanischen Freunden und Bekannten. Sehr wichtig ist für uns die große und sehr aktive koreanische Kirchengemeinde in Bochum. Jeden Sonntag findet ein gemeinsamer Gottesdienst statt, darüber hinaus engagieren wir uns bei vielen gemeinschaftlichen Unternehmungen, wie z.B. Gemeindefesten, Reisen, der Unterstützung von koreanischen Studenten und - gemeinsam mit der deutschen Gemeinde - der Organisation von Hilfe für Länder des globalen Südens. Und dann verbringen wir natürlich auch sehr gerne Zeit mit unseren beiden Enkelkindern, die aber leider in Köln leben.“  



 
Korea und der Weg nach Deutschland
Frau Yoo erzählt weiter: „Wir waren insgesamt fünf Geschwister. Mein Vater war Pastor verschiedener evangelischer Kirchengemeinden. Meine Mutter unterstützte ihn bei seiner Arbeit und leitete später den Kindergarten in unserem Dorf. Die evangelischen Kirchen in Korea waren damals noch im Aufbau und konnten sich noch nicht ein angemessenes Pastorengehalt leisten. So sind wir Kinder auf dem Dorf bei meinen Großeltern aufgewachsen, die die Reisfelder der Familie bewirtschafteten. Dort bin ich auch in die Grundschule gegangen. Anschließend habe ich die High-School in Gwangju, der Hauptstadt der Provinz Jeonnam, besucht.  Meine Eltern wollten uns Kindern durch den Schulbesuch in der Stadt eine gute Ausbildung ermöglichen. Nach dem Schulabschluss ging ich nach Seoul, wo ich am Seoul Ganho Jeonmun Daehak (Seoul Nursing Junior College) ein Fachhochschulstudium im Bereich Krankenpflege abgeschlossen und zwei Jahre im Krankenhaus gearbeitet habe.
1974 kam ich dann mit einem Drei-Jahres-Vertrag als Krankenschwester nach Deutschland. Nach Beendigung der vereinbarten Dienstzeit habe ich eine längere Europareise unternommen. Ich hatte schon all meine Sachen gepackt und nach Korea geschickt. Aber dann habe ich auf der Reise meinen Mann  kennen gelernt und bin schließlich hier geblieben.“
 „Ich bin auch auf dem Dorf aufgewachsen“, sagt Herr Yang, „und in Gwangju zur High-School gegangen. Danach musste ich für drei Jahre zum Militär und habe anschließend ungefähr  vier Jahre lang in einem Bürgerbüro gearbeitet, wo das Gehalt in dieser Zeit aber sehr niedrig war. Als ich gehört hatte, dass in Deutschland die Arbeit im Bergbau verhältnismäßig  gut bezahlt wird, habe ich mich für einen auf drei Jahre befristeten Vertrag beworben. Die Eignungsprüfungen sowie die Gesundheitsuntersuchungen konnte ich problemlos bestehen. So bin ich zunächst nach Aachen gekommen.“

Das Leben in Deutschland
„Und ich bin mit fünf weiteren Kolleginnen in Bernkastel an der Mosel ‚gelandet‘ und wurde dort in einem Schwesternwohnheim untergebracht,“ berichtet Frau Yoo. „Die Arbeit als Krankenschwester ist in Korea und in Deutschland eine gänzlich andere. Als examinierte Krankenschwester hatte ich in Korea die Aufgabe, die Ärzt*innen medizinisch zu unterstützen. Dass in Deutschland der Schwerpunkt der Arbeit auf der körperlich sehr anstrengenden Pflege liegt, war mir neu. Aber wir haben gute Arbeit geleistet, und wir haben die Patient*innen liebevoll betreut  - und das wurde anerkannt.
Der Umgang mit den Deutschen fiel uns - besonders aufgrund der Sprachprobleme - nicht leicht, daher sind wir viel mit koreanischen Busgesellschaften gereist. Ich war so z. B. in Norwegen, Dänemark, Spanien und in der Schweiz.
Und dann gab es auch noch das für uns ungewohnte westliche Essen. Zutaten für koreanische Gerichte konnte man nicht bekommen. Ich habe das sehr vermisst. Jetzt kann man alle Zutaten in koreanischen Lebensmittelläden kaufen, aber damals gab es das noch nicht.“ „Ja“, sagt Herr Yang, „die erste Zeit war nicht leicht. Deutsches Essen war uns ganz fremd. Wir essen normalerweise scharf und Kimchi zu jeder Mahlzeit. Jetzt mag ich aber zum Beispiel auch gerne Spaghetti und viele deutsche Gerichte.“

Arbeit in Deutschland
Herr Yang: „Die Arbeitsabläufe unter Tage waren komplett neu für uns. Dort arbeitet man buchstäblich eng zusammen im Team. Es gibt Schlosser, Elektriker, Sprengmeister und jede Gruppe hat eine besondere Aufgabe. In 800 Metern Tiefe mussten wir einen Schacht graben und dann, wenn man auf ein Kohleflöz stieß, den Tunnel erweitern und festigen, damit die Kohle abgebaut werden konnte. Ich war in der Gruppe, die für den Tunnelausbau zuständig war. Man sprengte einen Teil des Gesteins weg und stützte dann die Tunnelwände mit Trägern aus Stahl ab. Eine Schicht unter Tage war immer acht Stunden lang. Am Anfang hatte ich viel Angst, aber mit der Zeit habe ich mich an die Gefahr gewöhnt. Nach den drei Jahren im Bergbau habe ich ein Jahr lang bei einer Bochumer Firma gearbeitet und bin dann zu Opel nach Bochum gegangen - wie damals viele Koreaner. Anfangs arbeitete ich in der Getriebemontage und später in der Abteilung, in der Hinterachsen montiert wurden.  1985 hatte der koreanische Autokonzern Daewoo geplant, ein neues Auto mit einem Motor von General Motors zu produzieren. Da Opel bereits seit Langem solche Motoren verbaute,  beschloss Daewoo, von Opel zu lernen, und schickte koreanische Ingenieure nach Deutschland. Weil die aber kein Deutsch verstanden, brauchte Daewoo dringend Übersetzer - und am besten geeignet dafür waren die koreanischen Mitarbeiter von Opel. Ich habe in dieser Zeit - zusammen mit vier ausgewählten Kollegen - viel gelernt und wir hatten eine sehr abwechslungsreiche Zeit. Die Ingenieure von Daewoo sind zurück nach Korea gegangen und als das neue Fahrzeug schließlich produktionsreif war, haben sie sich bei mir gemeldet und meinten, dass ich eigentlich bei der Premiere hätte dabei sein müssen - eine schöne Anerkennung. Nach meiner Tätigkeit bei Opel habe ich mich selbstständig gemacht, indem ich landwirtschaftliche Maschinen nach Korea verkauft habe. Der Vertrieb von landwirtschaftlichen Fahrzeugen ist ziemlich kompliziert, denn überall sind die Böden und die klimatischen Bedingungen anders, und die Geräte müssen an die jeweiligen Anforderungen angepasst werden. Ich hatte gute Verbindungen zu den Amazonen-Werken in Osnabrück, die landwirtschaftliche Fahrzeuge herstellen. Ich habe mich jeweils erkundigt, was es für neue Entwicklungen gibt, und habe dann Kataloge für mögliche Interessenten nach Korea mitgenommen. Jetzt läuft alles digital ab, aber damals war das noch analog, und ich hatte riesige und schwere Kataloge in meinem Koffer.“

Frau Yoo: „Ich habe gearbeitet, bis ich 65 war. Nach der Geburt der Kinder war die Arbeit besonders schwer, denn es gab ja keine Kindertagesstätten, in denen man sie hätte unterbringen können. Nach der Geburt unserer ersten Tochter kam meine Schwiegermutter zur Betreuung für ein Jahr nach Deutschland. Danach hat sich eine Nachbarin, eine ältere Dame, um meine Tochter gekümmert. Anfangs waren es nur zwei Stunden am Tag, an denen sich unsere Schichten überschnitten, schließlich waren es manchmal sogar acht Stunden. 27 Jahre lang habe ich auf der Intensivstation des Maria-Hilf-Krankenhauses in Bochum gearbeitet. Durch Zusammenlegung der Krankenhäuser kam ich schließlich auf die onkologische Station des größeren Josef-Hospitals. Die Arbeit auf den Stationen war sehr unterschiedlich. Auf der Intensivstation tut man alles, um das Leben der Patient*innen zu erhalten, auf der onkologischen Station begleitet man sie zusätzlich oft während der letzten Lebenstage. Die Arbeit erforderte viel Einsatz, aber jetzt bin ich dankbar für die Erfahrungen in dieser Zeit.“

Alte und neue Heimat
„Bevor meine Eltern gestorben sind, waren wir oft in Korea, aber seit ihrem Tod fliegen wir seltener dorthin. Korea ist in unserem Herzen die alte Heimat geblieben“, sagt Frau Yoo.
„Zum Glück gibt es heutzutage viele Möglichkeiten, in Verbindung zu bleiben. Fast jeden Tag kommuniziere ich mit meinen Geschwistern in Korea per Internet, so dass die Heimat immer lebendig bleibt. Mein Mann verfolgt darüber hinaus täglich die Nachrichten im koreanischen Fernsehen, um auf dem Laufenden zu bleiben.“
„Als die Kinder geboren wurden, haben wir uns viele Gedanken darüber gemacht, wie wir sie hier in Deutschland großziehen können“, erzählt Lee-Sung. „Aber alles ist ‚gut gegangen‘. Beide Töchter haben hier die Schule besucht und haben in Deutschland - zum Teil auch in Korea - ihr Hochschulstudium erfolgreich abgeschlossen.
Meine Frau und unsere Töchter haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft, aber ich wollte sie nicht haben. Da ich viel mit koreanischen Firmen zusammen gearbeitet hatte, hätte mir die deutsche Staatsbürgerschaft viele Dinge bei der Arbeit erschwert. Bei uns zuhause bin ich also der einzige ‚Ausländer‘.“
Ich würde sagen, dass Bochum meine neue Heimat ist. Das Schöne an Deutschland ist für mich, dass es, egal wo man hin kommt, viel Grün gibt und man fast überall spazieren gehen kann. Seoul ist eine Stadt mit einer hohen Bevölkerungsdichte und vielen Hochhäusern, und wenn ich in Korea bin, fange ich an, das zu vergleichen.“
„Wenn ich zurückblicke, ist auch für mich Bochum eine zweite Heimat geworden“, sagt Frau Yoo. „Wir haben hier eine Familie  gegründet sowie das Haus erworben und umgebaut. Viele Freunde und Bekannte begleiten hier unser Leben.  Und wir haben wirklich Glück, in so einem Haus mit einem so schönen Garten zu leben. Wir sind zufrieden.“




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Interview, Text: Min-Dju Jansen
Foto: Miguel Ángel Castillo Archundia

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